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Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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von dir. Ich will es ihm nicht sagen. Er soll sich nicht ersetzbar fühlen. Ich mag ihn«, sagte sie schließlich.
    »Und warum kommst du noch nicht?«
    »Weil ich ihm versprochen habe, seine Operation mit ihm durchzustehen. Dann kann ich gehen. Erst dann. Das ist eine Sache, die wir gemeinsam tun müssen. Er braucht mich.«
    Vor kurzem hatte Steve beschlossen, seine Praxis für ein Jahr zu vermieten und sich in einer Spezialklinik bei Sydney am Rückgrat operieren zu lassen. Gutartige Tumoren an verschiedenen schwer zugänglichen Stellen drohten ihn zu lähmen. Laura hatte versprochen mitzukommen, da er, obwohl selber Arzt, große Angst vor den Eingriffen hatte.
    »Danach fangen wir beide ein neues Leben an«, hatte er gesagt.
    »Ja«, sagte Giovanni.
    »Wir sind schon getrennt, aber wir sind noch Freunde. Steve ist kein Feigling. Er braucht mich. Ich tu das gern.«
    »Ja.«
    Ein ganzes Jahr.
    »Kann ich dir denn irgendwas dabei helfen?« ,
    »Aber nein, was denn? Nein. Putz du die Wohnung, bis ich komme, und bleib mein guter Stern.«
    Ein ganzes Jahr! Bedrückt von diesem Ausblick begleitete er sie noch ein Stück in Richtung Piazza Espagna. Morgen könne sie wieder um diese Zeit kommen, sagte sie, bis sechs.
    An diesem Abend fühlte sich Giovanni zum ersten Mal einsam in Rom. Verloren und von der Lebenslust der anderen gequält. Ein ganzes Jahr. Er betrank sich im Zimmer, nahm Albert in den Arm, fiel ins Bett und schlief dennoch schlecht und nur bis kurz vor sieben.
    Nicht eilig, wie am Tag zuvor, aber jetzt mit einem Unterton von Wehmut liebten sie sich wieder am nächsten Nachmittag. Laura würde nicht mehr kommen können, denn Steve und sie hatten vor, nach der letzten Veranstaltung sofort aufzubrechen. Zum Flugzeug um neunzehn Uhr fünfzehn.
    »Ich schreibe, so oft es geht«, sagte sie, »du mußt einfach geduldig sein. Ohne mich steht er das nicht durch. Behalt die Nerven und sei mein guter Stern.«
    Er brachte sie nur bis zum Pantheon. Sie küßten sich im Schatten einer Tür, und Laura sagte: »Vielleicht geht es ja schneller.«
    »Hoffentlich leuchte ich hell genug«, sagte Giovanni.
    »Das wirst du ganz bestimmt.«
    Er sah ihr nach, bis sie zwischen zwei Häusern verschwunden war, ging zurück ins Hotel, bezahlte sein
    Zimmer und nahm ein Taxi zum Bahnhof. Er bezahlte das ganze Schlafwagenabteil, um allein sein zu können, und in Mailand war er endlich betrunken genug, um zu schlafen.
    Das ist nicht meine Stadt, dachte er, als er um zehn Uhr morgens aus der Bahnhofshalle trat. Das wird wieder meine Stadt, wenn es wieder Lauras Stadt ist. Wenn sie da ist, ist jede Stadt meine. Es störte ihn nicht, daß alle, die ihm begegneten, indigniert, spöttisch oder erstaunt zu ihm hinsahen. Er trug Albert auf dem Arm wie ein Kind. Einmal setzte er die Tasche ab und ließ Albert mit der Pfote einer Frau hinterherwinken. Er selbst schaute sich nicht um, hörte aber ein Lachen. Diese Frau hatte beim Entgegenkommen wenigstens gerührt gelächelt, nicht verständnislos wie die meisten.
    Von nun an schlief er jede Nacht mit Albert im Arm, obwohl ihn dessen Fell in heißen Nächten juckte. Du kommst nie in die Waschmaschine, das versprech ich dir, sagte er, wenn Albert ihm bedrückt vorkam, und jedesmal schien der Bär dann wieder zufriedener.
    Er schrieb Glossen für den Funk, übersetzte Songtexte der siebziger Jahre für eine Nonsens-Serie, übersetzte »As tears go by« in »Arschtiere gehen einkaufen« oder »We can work it out« in »Wir Blechbüchsen schaffen es draußen«. Es machte Spaß, obwohl er nicht wußte, wo der Humor herkam. Ihm war nicht danach zumute. Dienst nach Vorschrift kann auch das, dachte er.
    Wie am Tropf hing er an der Möglichkeit, einen Brief von Laura im Kasten zu finden. Und jeder Morgen, an dem keiner darin lag, war wie eine Luftblase, deren Eintritt in die Vene den Tod bedeuten konnte. Einen allerdings immer nur sekundenkurzen Tod, denn gleich danach wuchs die Hoffnung wieder, daß der Brief am nächsten Tag käme. Das war die Nährlösung. Der jeweils nächste Tag.
    Noch vor seinem Geburtstag war der Brief da. Sie schrieb: Jetzt geht es los, wir fliegen morgen. Du leuchtest hell, hab keine Angst, hab nur Geduld. Ich habe keine Angst, denn ich freu mich auf zu Hause. Zu Hause, das bist Du. Du mit Deinen Schlafaugen, die mich schon immer betört haben, Du mit Deinen schusseligen Händen, die sogar meine Haut verwirren können, Du mit Deinem distanzierten Blick, aus dem die Bereitschaft

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