Das Herz ist eine miese Gegend
nur noch Reisende, ihre überdimensionalen Papiertaschen aus der Via Condotti neben sich, auf das Erscheinen von Alberto Moravia warteten. Solche wie er, mit dem Unterschied, daß er sich in seinen blassen Jeans, der Allerweltsjacke und den ungeputzten Schuhen in dieser Umgebung wie eine Ohrfeige ausnahm.
Da es kälter war als gestern und ihn seine eigene Zotteligkeit störte, kleidete er sich komplett neu ein. Er kaufte eine Hose, drei Hemden, Socken, Schuhe und ein Jackett und am Ende einen weichen schwarzen Mantel. Mit jedem Kleidungsstück, das neu an ihm war, wuchs die Sicherheit seines Auftretens im nächsten Geschäft. Und die Höflichkeit der Verkäufer proportional zu ihren Englischkenntnissen. Eindeutig. Schließlich fühlte er sich total verkleidet, aber nicht mehr fehl am Platz.
Um einem Rolls-Royce hinterherzusehen, drehte er den Kopf und schrie auf, weil ihn etwas biß. In den Hals. Es war eine Nadel, die er beim Auspacken des Hemdes übersehen hatte. Die Maus, hatte er gedacht, Zelko, nach über zwanzig Jahren. Er meinte sogar die piepsige Stimme »Katzist« rufen zu hören. Irgendwo, tief innen in seinem Kopf. Er lächelte, als er die Nadel wegwarf. Katzist, na ja, das wäre vielleicht die einzige Partei, der ich beitreten könnte. Katzisten International e. V .
Ähnlichkeit mit Katzen hab ich doch, dachte er. Ich kann es nicht leiden, wenn man mich festhält, man darf mich nicht ziehen, ich muß jeden Schritt alleine tun, man darf meine Sinne nicht beeinträchtigen. Wenn mir jemand die Ohren oder Augen bedeckt, werde ich verrückt. Das ist doch typisch katzig. Ich bin zärtlich, aber nur wenn ich will, ich bin reinlich, und es stört mich, wenn sich an einem Lieblingsplatz von mir etwas ändert. Das ist doch alles typisch Katze. Und hat Freddie nicht gesagt, er ist mein Freund?
Das Caffe della Pace bei der Piazza Navona wurde sein Stammcafe für die nächsten Tage. Von hier aus ging er zum Tiber, zum Vatikan, zur Via Appia und nach Trastevere. Nach hier kam er mittags zurück, um zu essen, sich auszuruhen und sich dann für eine neue Richtung zu entscheiden. Hier machte er Notizen für seinen Artikel, und hier machte er Pause an dem Tag, den er mit dem Fotoapparat verbrachte. Auf zehn Diafilmen hielt er Anblicke fest, denen er zutraute, die römische Atmosphäre einzufangen. Dieses braune Halbdunkel, dem die Farben in aufsteigenden Schichten vom Licht der Märzsonne nur geborgt wurden.
Er wollte in die Bar gegenüber dem Hotel, um einen Tramezzino zu essen, als der Portier »Signore Burregatte« hinter ihm herrief.
Er schwenkte einen Zettel in der Hand, den er Giovanni lässig reichte. Bin schon da, stand darauf, einen Tag früher. Ich glaube, ich kann Dich heute nachmittag anrufen. Laura. Er hielt den Zettel vorsichtig wie eine Reliquie.
Er lag auf seinem Bett und versuchte in dem Buch zu lesen, das er am Morgen bei Herder gekauft hatte. Manche Seiten hatte er viermal gelesen. Er sprang auf, als es an der Tür klopfte, denn er dachte, das sei endlich der Portier. Aber sie war es selbst.
In ihren Armen hielt sie einen großen schwarzweißen Teddybär, fast so wie damals Freddie, nur daß sie jetzt beide keine Rücksicht darauf nahmen und den Bären in ihrer Umarmung zerdrückten. Nach einer Weile streichelte sie mit der Bärenpfote sein Gesicht und sagte: »Er heißt Albert, er will zu dir.«
Giovanni küßte Albert auf die Schnauze. »Hab jetzt aber keine Zeit für dich. Schön, daß du da bist, Albert.«
Und sie fielen auf das quietschende Bett.
Sie hatten sich in großer Eile geliebt, fast so, als sei die Zeit sogar dafür zu kostbar. Daß Laura gleich hinterher duschte, tat ihm weh. Konnte es sein, daß Steve heute nacht mit ihr schlafen würde und nichts von ihrer Untreue bemerken durfte? Schlief sie noch mit ihm? Und die Trennung? Sie wollte doch aufräumen, hatte sie gesagt. Versprochen. Er wartete doch. Es war, als wasche sie ihn, Giovanni, von sich ab, nicht nur den Schweiß und die Spuren ihrer Liebe.
»Ich habe Zeit bis sechs«, sagte sie, als sie fertig angezogen ins Zimmer zurückkam. »Ab halb sieben bin ich besser wieder dort. Wie siehst denn du aus?«
Sie meinte seine Kleider, nicht sein Gesicht.
»Hab mich für dich feingemacht«, sagte er.
Da sie nicht in einem der Cafés an der Piazza Navona oder am Pantheon sitzen wollte, führte er sie zu seinem Lieblingsplatz, dem Caffé della Pace.
Sie schwiegen eine Weile.
»Er weiß, daß ich gehen werde, er weiß nur nichts
Weitere Kostenlose Bücher