Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
Vom Netzwerk:
als wollten sie ihre nackten Körper jetzt voreinander verbergen. Waren die Körper zu schnell gewesen, zu eindeutig, zu sicher für Seele und Verstand? Sollten die Körper nun zurechtgewiesen werden für ihr eindeutiges Ja zum andern? Oder sollte ihnen einfach etwas weniger Gehör geschenkt werden, angesichts der Realitäten, die sich langsam, aber gefährlich wieder in die Nische schoben. Die Nische, in der nur Platz war für Laura und ihn und aus der die Realitäten sie verdrängen konnten. Die Realitäten hießen Steve.
    »Ich hab ihn nicht verlassen«, sagte Laura nachdenklich, »ich betrüge ihn mit dir.«
    Giovanni begriff schnell und sagte trotz seiner Enttäuschung: »Ich warte.«
    Sie sprachen lange nichts, sahen nur wieder einander ins Gesicht, noch immer nicht studierend, sondern nur, um zu genießen, daß sie da waren, daß sie lebten, daß sie sichtbar waren und nah, und Giovanni tat nichts, um eine Träne, deren Lauf über seine Wange ihn kitzelte, zu verbergen.
    »Mein Flieger geht um acht«, sagte sie.
    »An welchem Tag?«
    »Heute, nachher.«
    Es war Viertel vor zwei.
    Sie gingen Hand in Hand durch Frankfurt, und angeregt durch die wechselnden Bilder ringsum begannen sie endlich zu reden. Steve, Bo, Karen, die Tatsache, daß keiner von ihnen Kinder hatte, obwohl sie keine besondere Anstrengung aufs Verhüten verwandt hatten; Berichte vom Leben ohne den andern, die zusehends Berichte vom Warten auf den andern wurden. Bald sprachen sie nur noch von dem Loch, das in ihrem Leben geblieben war, von niemandem gefüllt und jetzt erst richtig in seiner Größe erkennbar. Jetzt, wo sie es gegenseitig füllten. Vorübergehend.
    »Hatte Bo recht, als er sagte, er bekäme dich nicht ohne mich?« fragte Giovanni irgendwann.
    »Weiß nicht. Wäre zu klug für Bo, wenn’s richtig wäre«, sagte sie. »Aber nur mal angenommen, er hat recht. Würdest du es heute tun?«
    »Was tun?«
    »Mit ihm zusammen mit mir schlafen.«
    Er dachte nach. Der Gedanke tat weh. Aber nicht so sehr, wie er hätte müssen.
    »Vielleicht. Wenn ich dich dadurch bekäme, vielleicht ja.«
    »Ich glaube nicht, daß er recht hat.«
    Gegen sechs, als sie wieder im Taxi saßen, fragte sie: »Was wirst du tun gegen deinen Bauch?«
    Zuerst wollte er verärgert sein, aber dann mußte er lachen. Ein Blick in ihr Gesicht sagte ihm, daß sie frech war und nicht ernst.
    »In meinem Alter werden normale Leute ans Kreuz genagelt, was stört mich da ein Bauch?«
    »Als Antwort ist das gut«, sagte sie, »aber statistisch hat es Macken.«
    »Dann laß uns doch mal im Hotel nach deiner Orangenhaut sehen. Ich habe den Verdacht, da gibt’s ein Patt.«
    Der Taxifahrer schüttelte den Kopf.
    Wieder im Zimmer, versuchten sie noch einmal, miteinander zu schlafen, aber sie brachen ab, als sie bemerkten, daß es wie ein Diebstahl war. Raffgierig jedenfalls. Sie wollten der Zukunft ohne einander noch schnell ein Stück stehlen, aber an ihren eigenen Bewegungen spürten sie, daß keine Lust mehr, sondern nur Erleichterung am Ende auf sie wartete.
    »Wir machen uns den Vergleich kaputt«, sagte sie.
    Es war viel zu schnell acht Uhr, und Laura wartete den letzten Aufruf ab, um ihm noch schnell mit der Hand durch die Haare zu fahren, ihren Körper ein letztes Mal an seinen zu pressen und dann ohne Blick zurück durch die Schranke des Schalters zu verschwinden.
    Ihr Mann war auf einer Tagung. Bis er wiederkäme, wäre sie zu Hause und würde ihm erzählen, sie habe die Zeit bei einer Freundin verbracht. Wenn er nicht auf der Kreditkartenabrechnung das Telefongespräch aus der Stadt bemerkte, konnte sie nicht entdeckt werden. Von der Freundin, bei der sie angeblich gewesen sein würde, hatte sie sich Bargeld geliehen für den Flug, das sie in den nächsten Wochen peu a peu aus der Haushaltskasse zurückzahlen würde. Steve war Arzt, verdiente gut, und es würde ihm nicht auffallen.
    »Demütigt dich das nicht?« hatte Giovanni gefragt, um die viel wichtigere Frage, warum sie Steve nicht einfach verlasse und zu ihm käme, nicht zu stellen.
    »Doch, aber das bist du mir wert.«
    Seine Briefe sollte er in Zukunft an die Adresse der Freundin schreiben.
    »Ab jetzt darf er sie nicht mehr entdecken«, hatte Laura gesagt.
    Amerika war nicht mehr weit. Jetzt, da sie Steve mit ihm betrog, war nichts mehr, kein Ort, an dem sie wäre, noch weit. Erreichbar und erreichenswert wäre noch der hinterste Winkel, wann immer sie es wollte. Als sie durch die Sperre gegangen war, um das

Weitere Kostenlose Bücher