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Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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Vortragsreisen und gab manchmal noch Kurse an amerikanischen Universitäten. Auch ihnen schrieb Laura nur Postkarten. Paul war froh, daß sie zurückkommen würde.
    »Unsere Liebste ist treu«, sagte er einmal, und Giovanni sah, daß es ihm Freude machte, wieder von »unserer Liebsten« sprechen zu dürfen. Ein Seitenblick auf Sabine zeigte ihm, daß sie einverstanden war.
    »Ich teile sie am liebsten mit dir«, sagte Paul zu Giovanni. - »Das ist kein Teilen, wir haben sie beide ganz.«
    »Und sie uns.«
    »Hoffentlich bald.«
    Nach einer Woche brach er wieder auf, denn er hatte bemerkt, daß die beiden ihr Leben und die Arbeit für ihn unterbrochen hatten, und er wollte sie nicht zu lange stören. Sie brachten ihn zum Bahnhof, und es tat ihm leid abzureisen.
    »Komm bald wieder«, sagte Sabine.
    »Mit Laura«, sagte Paul.
    »Ich liebe euch«, sagte Giovanni.
     
    Ein Brief von Laura in der Post! Die letzte Operation ist überstanden. Du kannst mir schreiben, ich warte sehnlichst auf Post von Dir. Aber schreib an American Express in Sydney. Ich möchte Steve mit meiner Freude über Deine Briefe nicht weh tun. Er weiß nichts von Dir, und das soll so bleiben. Ich weiß, daß Du mich verstehst. Bitte schreib mir bald, ich werde davon leben. Kann sein, daß es drei, vielleicht auch vier Monate dauern wird, bis ich mit Steve zurück in die Staaten fliegen kann. Er erholt sich nur sehr langsam und braucht mich für fast jeden kleinen Schritt. Aber was sind schon ein paar Monate, danach bin ich bei Dir. Du kannst schon mal langsam die Wohnung aufräumen. Bis bald, Deine glückliche Laura.
    Im Oktober kam die Geburtsanzeige von Nikolaus Pletzky. Aha, dachte Giovanni und fand sich selber spießig.
    Er ließ das Blaupunkt-Radio von einem Fachmann renovieren und gab ihm einen Ehrenplatz im Schlafzimmer.
    Eines Tages kam ein Spediteur mit einem Bild von Ilse. Groß, weiß, scheußlich und unterzeichnet mit »Fisch«. In einem Begleitbrief stand: Auch wenn Du nichts davon verstehst, ich schenk’s Dir für Deine Wohnung. Hasta la vista, Fisch.
    Ach, Ilse, dachte Giovanni, du bist doch kein Fisch.
    Du bist eher so was wie eine Dauersternschnuppe, ein dauerverwunschener Prinz, den niemand aus den Froschkleidern küßt. Zum Fisch fehlt dir die Glätte, vom Fisch hast du nur den Glanz, aber du bist und bleibst ein Warmblüter. Bist und bleibst waren schöne Worte für Ilse. Fast wie ein Gebet. Oder so was wie ein Trost.
    Versunken las er ein neues Buch von Vonnegut. Es hieß »Galapagos«, und er dachte daran, es Laura zu schicken, aber der Gedanke, daß sie Steve das deutsche Buch erklären müßte, hielt ihn davon ab. Schließlich konnte sie ja englisch lesen. Statt dessen schickte er ihr Alberts Brief und streunte Tag um Tag durch die Wohnung, um hier und da noch Verbesserungen vorzunehmen. Gleich, dachte er, fängt die echte Zukunft an, demnächst ist hier das Leben. Das Leben selber. Nicht nur die Sonntagsbeilage wie bisher.
    Er nahm Albert mit in die Badewanne und schrubbte ihn mit Pril, bis die weißen Teile seines Fells nicht mehr grau waren. Liebe macht Spuren, sagte er zu Albert, Liebe macht grau. Albert verstand.

 
FÜNFUNDFÜNFZIG
    Es gab die Apokalypse in den verschiedensten Versionen. Die biblische Version baute eher auf Sturm, Hagel und Sintflut, die Atomversion auf riesengroße Pilze. Es gab die Umweltversion, die Aids-Version, die Börsen-crashversion und die mit dem Einschlag eines Meteors. Es gab die Überbevölkerungsversion mit den anstürmenden Unterprivilegierten, die Version mit der Herzenskälte, an der alle erfrieren, und die, in der die Computer an der Macht sind. Und viele, viele Mischformen. Fast jeder hatte eine privat gefärbte Version, und so war die Apokalypse ein beliebtes und ergiebiges Gesprächsthema. Im Urlaub, beim Skat, in der Kneipe und am Kamin.
    Giovanni stapfte durch frisch gefallenen Schnee, den die Räumtrupps noch nicht von der Straße geschafft hatten. Er kam vom Weihnachtsessen mit seiner Mutter und seinen Brüdern, bei dem er ein überraschend warmes Gefühl für die drei in sich entdeckt hatte. Ein Gefühl aus den Augenwinkeln. Das heißt, eigentlich kein Gefühl, nur eine Art, sie anders anzusehen. Ich mag sie doch, dachte er, ich hab sie mir nicht ausgesucht und finde nichts bei ihnen, aber ich mag sie doch. Meine Witwenmutter Irmgard, meinen Lehrerbruder Norbert und meinen Arztbruder Arno, ich mag sie. Meine Körperfamilie. Und ich mag oder liebe meine Herzfamilie. Paul,

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