Das Herz ist eine miese Gegend
werde es demnächst reichen, um ein kleines Atelier zu mieten, und dann werde wieder gemalt. Die Kinder, denen er das Schwimmen beibringe, seien zwar Nörgelsusen und verwöhnte Monster, aber ihre Mütter gelegentlich nicht ohne. Und dann die Sonne und das gute deutsche Bier, echt wie ein Fisch im Wasser.
Mach’s gut, Fisch, hatte Giovanni zum Schluß gesagt und sich ehrlich gefreut. Nur wie lange es dauern würde bis zum nächsten Absturz, das traute er sich nicht zu schätzen. Vielleicht ging es ja diesmal gut. Ilse war ja schließlich auch dreiunddreißig. Erwachsen. Beziehungsweise Fisch.
In Lauras fünftem Brief stand, sie werde im März drei Tage in Rom sein mit Steve. Ob er kommen könne? Natürlich konnte er. Er rief vier Redaktionen an, bis ihm die eines Magazins für Tierärzte eine Geschichte über Rom abnahm. Allerdings müsse er Fotos dazu liefern. Also kaufte er sich einen idiotensicheren Fotoapparat und staunte über die Qualität der Probebilder, die er schoß. Er haßte das Fotografieren.
Am zehnten März bestieg er den Nachtzug in Karlsruhe, fiebrig vor Erwartung und Vorfreude auf Laura. Obwohl sie erst in einer Woche in Rom sein würde.
Er hatte Glück, sein Schlafwagenabteil blieb leer. Ich rase mitten durchs Leben, dachte er, links und rechts ist das Leben, und ich rase mittendurch. Nach Rom. Er hatte nie Lust gehabt, allein zu verreisen, und selten war die Möglichkeit aufgetaucht, sich anderen anzuschließen. Was hatte er gesehen von der Welt? Ein bißchen Frankreich, Österreich, Holland, ein bißchen Italien, Griechenland und Kreta, das war’s dann schon. Keine Seychellen, Malediven und Kanaren, kein Tunesien, Madagaskar und Hawaii. Er konnte nicht mitreden. Aber nicht mitreden zu können war eine seiner Lieblingsbeschäftigungen, um so mehr Worte hatte er in Reserve für die weißen Blätter. Aber auf Rom, die Stadt der Städte, freute er sich fast so sehr wie auf Laura.
Die Namen der Städte und das gespenstische Licht der Bahnhöfe traten in seinen unruhigen Schlaf, und von Etappe zu Etappe wußte er sich näher am Ziel und wuchs seine aufgeregte Freude.
Sechs Uhr fünfzehn, Stazione Termini, Roma. Er mußte warten, bis die Hotelinformation öffnete, und trank Cappuccino, während er das Schlurfen des erwachenden Großstadtlebens beobachtete. Es gelang ihm nicht, die allfällige Armut nicht dekorativ zu finden; es gelang ihm nicht, den Schmutz schmutzig zu finden, und es gelang ihm nicht, die Unhöflichkeit des Kellners unhöflich zu finden. Dies war Rom. Rom hatte recht, war schön und unangreifbar und jenseits aller Ansprüche, die ein Tourist stellen durfte. Nicht einmal der einsetzende Nieselregen konnte seine Begeisterung trüben, und als er einen Stadtplan gekauft und die Adresse eines bezahlbaren Hotels erfahren hatte, ging er dorthin zu Fuß.
Obwohl er müde genug war, um einige Stunden zu schlafen, hielt es ihn nicht in seinem Zimmer. Er stellte seine Reisetasche ab und ging zurück zum Campo dei Fiori, ließ sich vom Trubel des Marktes eine Weile gefangennehmen und dann einfach treiben, wohin ihn die Straßen, Gassen und Durchgänge lockten. Stundenlang.
Er war nur Auge, Nase, Ohr und mußte mehr als einmal aufpassen, daß er nicht Leute umrannte oder in eine Kette oder Mülltonne lief. Es war ein Rausch, und nur die Müdigkeit, die ihn mittags überkam, vermochte diesen Rausch auszunüchtern. Er zog den Plan aus der Tasche und suchte sich das Zickzack seines Heimwegs zum Campo dei Fiori und zum Vicolo dei Chiodaroli Nummer neun, wo das Hotel Smeraldo in einer engen Gasse lag. Dort schlief er bis zum Abend.
Bis in die Nacht setzte er dann seinen mäandernden Weg fort und war aufgesogen von der Atmosphäre und den Stimmen der Stadt. Er aß in einem Touristenrestaurant, weil er sich nicht in die Trattorias traute, vor denen nur Italiener geduldig warteten. Er hatte Angst, etwas falsch zu machen, und wünschte sich einen Führer, jemanden, der sich hier auskannte. Der allerdings würde ihm wohl dies wunderbare Ziellos-Treiben verwehren, würde ihn direkt zu all den Sehenswürdigkeiten führen, die er so, ohne zu suchen, hinter jeder Ecke fand.
Am nächsten Vormittag hinterlegte er einen Brief für Laura bei American Express. Ab Samstag konnte sie sich melden. Ab Samstag würde er warten auf sie, ihren Anruf oder einen Zettel an der Rezeption.
Er blieb eine Weile bei der spanischen Treppe, trank Cappuccino im Caffe Greco, dem Schriftstellertreff, in dem jetzt natürlich
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