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Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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Norbert, als sie, zwischen sich den Kasten sauren Sprudel, keuchend zurückkamen. »Es geht ihm nicht gut«, sagte der Vater. Man solle ihn ausruhen lassen. Das bißchen Graben schaffe man auch noch zu dritt. Norbert und Arno packten murrend an und dachten, der findet doch immer einen Dreh, sich zu drücken, denn sie hielten Paul sowieso für einen Waschlappen.
    In dem Graben sollten Leitungen für Strom, Wasser und Telefon verlegt werden. Und ein dickes Abwasserrohr. Das Scheißerohr, wie Norbert und Arno es nannten, wenn der Vater außer Hörweite war.
    Sie arbeiteten jetzt schon viereinhalb Wochen und näherten sich langsam der Vollendung. Ein Bagger wäre damit in zwei Tagen fertig gewesen, hätte aber sechzig Mark pro Stunde gekostet. Deshalb hatte sich der Vater entschieden, lieber die Sommerferien seiner Söhne zu opfern. Auf diese Weise sparte er doppelt Geld. Einmal die neunhundertsechzig Mark für den Bagger und dann noch die fünfzehnhundertsechs fürs Ferienlager.
    Der Vater sparte gern.
    Obwohl die Söhne lieber süßen Sprudel, der später Limonade heißen würde, getrunken hätten, bestand der Vater auf saurem. Der lösche den Durst im Gegensatz zum süßen, welcher ihn erst recht erzeuge. In der Mittagspause gab es Butterbrot und Studentenfutter, und nachts schliefen die vier im Rohbau des zukünftigen Hauses. Sie wuschen sich mit Wasser aus Eimern, verteilten Duftmarken im Gebüsch und pickelten und schippten den ganzen Tag, genau nach der Vorschrift des Bauamtes, um einen Graben von eins Komma vier Metern Tiefe in der Mitte, eins Komma eins links und rechts und einer Breite von zwei Komma null zu buddeln.
    Schöne Ferien.
     
    Zelko, eine Maus, was soll denn das sein, dachte Giovanni, das kann sich doch bloß um ein Hirngespinst handeln. Hirngespinste waren die Art Gedanken, die seinen Kopf am häufigsten besuchten. Fast die einzige Art überhaupt. Wenn sich die Realität in seine Welt wagte, dann meist in Form eines Hirngespinstes. Aber wann hatte je ein Hirngespinst gebissen? Das war neu.
    In seinem schattigen Eckchen im Rohbau, neben den Rucksäcken mit Wäsche und Verpflegung, holte sich Giovanni sein Lieblingsgespinst vor das innere Auge. In der Stadt, aus der die Familie bald wegziehen würde, hatte seine Bande einen Keller, ein von amerikanischen Bomben unversehrt gebliebenes Fundament, in das man durch ein Loch kriechen konnte, wenn die Luft rein war. Die Luft war rein, wenn aus dem hundert Meter entfernt stehenden Nachbarhaus niemand herzusehen schien. In diesem Keller hatte die Bande, die sich »Die Zwölf« nannte, obwohl die Mitgliederzahl zwischen drei und sechs Personen schwankte, ein Geheimlager eingerichtet. Holzschwerter und ein Hammer, drei geklaute Dosen Thunfisch und ein Dosenöffner, acht Kerzen und ein französisches Buch mit unverständlich verformten und ineinandergeschobenen Körperteilen waren der Bestand.
    In diesem Keller hatte Giovanni noch vor einem Monat gesessen und so getan, als ignoriere er, daß Cornelia vor seinen Augen auf den Boden pinkelte. Seit einer Viertelstunde war sie unruhig auf ihrem Stein herumgerutscht, bis sie endlich sagte: »Ich muß mal.«
    »Warte, ich schau nach, ob die Luft rein ist«, hatte er, einer Eingebung folgend, gesagt und scheinbar mißtrauisch die Nase durch das Ausstiegsloch gesteckt. »Unmöglich«, lautete dann sein Bericht, den er mit autoritär nach hinten gestreckter Hand noch unterstrich, »alles voller Leute«.
    Cornelia und er waren allein, weil Martin gerade unterwegs war, um Streichhölzer zu besorgen. Die Kerzen brannten, aber sie waren mit dem letzten Streichholz angezündet worden, und Martin sollte Nachschub holen.
    »Aber ich muß unbedingt«, quengelte Cornelia, worauf Giovanni mit lässiger Ironie sagte: »Und wenn schon, ich kuck dir doch nix weg.« Er hoffte, sie würde den Kloß in seinem Hals nicht bemerken, da sie doch andere Probleme hatte. Und so war es auch. Sie drehte sich von ihm weg und hockte sich in die Ecke des Kellers, die sie für die dunkelste hielt.
    Das war in seinem Sinne. Sie konnte nicht sehen, daß er hinschaute, streckte den kleinen weißen Vollmond genau in seine Richtung und ließ es regnen. Dabei hatte er ein unerklärlich aufregendes Gefühl.
    Die nachfolgende Peinlichkeit überspielte Giovanni, indem er sich an einer der Thunfischdosen zu schaffen machte, sobald sie die Hose hochzog. Mit den dazugehörenden Geräuschen hatte er vorher schon angefangen, so daß sie nicht auf Interesse von

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