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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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wieder, wie eine endlose Serie unregelmäßiger, dumpfer Trommelschläge. Wo einst der Dammweg vom Festland zum Midlanfels geführt hatte, war der Strand ein einziges Gewimmel von winzigen Gestalten. So viele xixische Soldaten bewegten sich dort umher, dass es aussah, als hätte jemand einen Ameisenhaufen aufgewühlt, doch alles, was sie vom Heerlager selbst sah, waren Zelte auf den öffentlichen Plätzen und auf dem Acker- und Weideland zwischen der Stadt und den Bergen. Sie vermutete, dass noch viele weitere xixische Soldaten in der Stadt selbst einquartiert waren, aber allein schon die Menge an Zelten war ein Schock.
    So viele?
Ihr Herz wurde kalt und schwer.
Barmherzige Zoria, der Autarch hat ein ganzes Volk vor unsere Mauern geführt.
Die unglaubliche Größe der Streitmacht, die da gegen Südmarksburg stand, machte sie ganz benommen. Ein solches Riesenheer könnten die kleinen Markenlande niemals schlagen, selbst wenn ihr Vater noch auf dem Thron säße und nicht all die vielen Männer auf dem Kolkansfeld gefallen wären!
    Die Sonne ging schon unter, und es wurde rapide kühler, als Briony den Rand des Heerlagers am Fuß der Hügel erreichte. Hinter einer Hecke versteckt, beobachtete sie die Szenerie ein Weilchen. Noch immer herrschte Verkehr auf den Behelfsstraßen, die die Truppen angelegt hatten, aber es kamen weit mehr Leute aus der Zeltstadt heraus als hineingingen. Ihr blieb nicht mehr viel Zeit, wenn sie nicht auffallen wollte. Etwa hundert Schritt vor dem Wachposten gesellte sich Briony zu einem Grüppchen von Hökem und imitierte nach besten Kräften den Gang einer alten, gebrechlichen Frau, so wie Feival es sie gelehrt hatte: Rücken und Schultern gekrümmt, den Kopf vorgereckt, mit kleinen, vorsichtigen Schritten. Das Lager war zu groß, als dass die Xixier es hätten einzäunen können, doch allein in Brionys Sichtweite waren vier, fünf Wachposten, besetzt mit bärtigen Soldaten, die spitze Helme trugen und mit Speeren oder Krummschwertern bewaffnet waren. Sie gab sich alle Mühe, unter den kontrollierenden Blicken der nächststehenden Wachen nicht schneller zu gehen, sich vielmehr, auf ihren Stecken gestützt, mühsam vorbeizuschleppen. Vor Angst, zurückgerufen zu werden, hielt sie den Atem an, aber niemand schien sie zu beachten.
    Erst als sie außer Sichtweite der Eingangswachen war, beschleunigte sie ihren Schritt etwas. Überall um sie herum waren Zelte, und in der Luft lagen jetzt Kochgerüche, würzige Düfte, wie sie sie seit ihrer Flucht aus Effir dan-Mozans Haus nicht mehr gerochen hatte. Das Lager schien, soweit sie erkennen konnte, ohne allzu auffällig hinzustarren, ganz verschiedene Arten von Soldaten zu beherbergen. Viele trugen eine Art Uniform, bestehend aus weiten Pluderhosen und Lederharnisch, aber sie sah auch andere Trachten, lange, weiße Gewänder, die sie an die Tuani erinnerten, farbenprächtige Arrangements aus Tüchern und Messingschmuck, die ein bisschen wie die Aufmachung eines Hofnarren aussahen, und ein großer, hellhäutiger Mann trug Schwarz mit einem zähnefletschenden weißen Hund als Emblem; bis auf den spitzen xandischen Kriegshelm und den rautenförmigen Schild hätte er ein Markenländer sein können.
    Der hellhäutige Soldat, der mit einer Gruppe kleinerer, dunkelhäutiger Krieger sprach, bemerkte Brionys Blick und starrte zurück. Sie schlug rasch die Augen nieder und ging weiter, so aus der Fassung gebracht, dass sie erst nach ein paar Schritten wieder daran dachte zu hinken, doch als sie sich verstohlen umsah, redete er schon wieder mit den Xixiern.
    »Das ist ein ganz Übler«, sagte eine Stimme direkt neben ihr, was Briony so erschreckte, dass sie fast gestolpert wäre. »Ein Perikalese, der für den Autarchen kämpft, kann man sich so was vorstellen? Und meint Ihr, er hätte mir auch nur eine Kupferkrabbe hingeworfen? Im Gegenteil, einen Tritt hat er mir gegeben.« Die Stimme kam von einer kleinen, am Boden hockenden Gestalt, die ihre Hände über einer Öllampe wärmte. Briony hielt es fürs Beste, gar nicht zu reagieren, aber die Gestalt rief ihr noch lauter hinterher: »Halt, wartet! Ihr habt meinen Kopf nicht angefasst. Ihr braucht mir kein Geld dafür zu geben. Unsereins muss doch zusammenhalten! Wartet!«
    Ihr Impuls war es, schnell weiterzugehen, aber der großgewachsene, hellhäutige Soldat blickte jetzt wieder her, ebenso wie die Xixier, die bei ihm standen. Briony blieb stehen, bückte sich dann einstudiert mühsam und tat so, als höbe sie

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