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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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»Ihr meint es ernst, Prinzessin, was? Ihr wollt es wirklich tun.«
    »Allerdings.«
    Er sog Luft durch die Zähne, dachte dann nach und spielte an seinem Ring herum. Helkis, sein oberster Offizier, stand an der Wand des Zelts, bemüht, sein unrasiertes Gesicht keinerlei Ausdruck zeigen zu lassen. »Ihr sagt, ich muss Euch entweder einsperren oder einfach gehen lassen«, erklärte Eneas schließlich. »Aber es gibt noch eine Möglichkeit.«
    »Ach ja?« Sie tat gelassen, aber eine dritte Möglichkeit hatte sie nicht gesehen.
    »Ich kann etwas dafür tun, dass Ihr ihnen nicht in die Hände fallt. Ich gebe Euch ein paar von meinen besten Männern mit ...«
    »Nein.« Sie schüttelte resolut den Kopf. »Das wäre nicht hilfreich. Ich werde mich nicht zu ihm durchkämpfen, Eneas. Dort sind zwar Tausende xixischer Soldaten, aber auch Hunderte von Einheimischen — Markenländer, die im Lager aus- und eingehen und Lebensmittel und Handwerksware an die Soldaten des Autarchen verhökern. Und es verkehren auch noch andere Frauen im Lager. Was die verkaufen, wissen wir wohl alle.«
    Eneas sah sie mit weit aufgerissenen Augen an. »Wollt Ihr sagen, Ihr denkt an eine Verkleidung als ... als ... eine von diesen ...«
    »Als Hure?« Sie lachte. »Barmherzige Zoria, Eneas! Meint Ihr, ich kenne das Wort nicht? Ich werde mich verkleiden, aber nicht als etwas Bestimmtes. Ich ziehe einfach nur schäbige Kleider an und lasse jeden, der mich sieht, daraus schließen, was er will.«
    »Aber Eure Sicherheit ...!«, sagte er entsetzt.
    Sie streckte den Arm aus. Wie durch Zauberei war das Yisti-Messer bereits in ihrer Hand. »Ich kann mich schützen — Shaso dan-Heza hat mich gut unterrichtet. Außerdem geht es nicht anders. Spricht einer Eurer Männer xixisch?«
    Er sah hilflos zu Helkis hinüber. »Nein, nicht dass ich wüsste. Ein paar Worte vielleicht ...«
    »Ich auch nicht, auf diese Art können wir sie also nicht täuschen. Und es wäre wohl noch riskanter, einen ganzen Trupp Soldaten als Bauern ausgeben zu wollen, die nur ihre Zwiebeln verhökern. Nein, Eneas, keine Soldaten. Ich gehe allein. Niemand wird auf die Idee kommen, dass ich irgendetwas anderes sein könnte als ein Bauernmädchen.«
    »Als ob das Eure Sicherheit garantieren würde.« Er sah sie streng an. »Ich glaube, Ihr seid zu lange mit den Schauspielern gereist, Prinzessin. Ihr habt Euch in wundersame Geschichten und Verwandlungsspielchen verliebt. Aber bedenkt, dass solche Dinge als Unterhaltung gedacht sind, nicht als Unterweisung. In unserer Zeit hätte der große Hiliometes den berühmten Stier gegessen und nicht den Berg hinaufgetragen.« Er runzelte die Stirn. »Nun gut, dann ist wohl alles, was ich Euch anbieten kann, ein Ablenkungsmanöver. Ich werde das Leben meiner Männer nicht durch einen Angriff auf breiter Front riskieren, aber es gibt da an der Mühlradstraße, gleich im Südosten des xixischen Lagers, ein verlassenes Dorf, das als Quartier für die Lagerwachen dient. Wenn wir dort mit einiger Wucht angreifen und uns dann wieder zurückziehen, werden wir Aufmerksamkeit auf uns ziehen, und Ihr könnt Euch leichter ins Lager schleichen.«
    Briony bemerkte, wie schnell Eneas seine Gedanken in andere Bahnen gelenkt hatte, und war wieder einmal beeindruckt. Gab es irgendwo in Eion einen gescheiteren Prinzen? »Das würdet Ihr für mich tun?«
    »Ich würde noch viel mehr für Euch tun, Prinzessin«, sagte er ernst. »Wenn Ihr mich nur ließet.«
    Am Nachmittag, als Briony ihre Vorbereitungen traf, begann sie sich doch zu fragen, ob Eneas recht hatte: War sie wirklich zu verliebt in alte Geschichten? Hatte sie sich Zoria zu ernsthaft zum Vorbild genommen? Oder auch nur ihre eigene Ururgroßmutter Lily Eddon? Sie hörte, wie sich draußen die Männer für den Angriff auf die Wachgarnison an der Mühlradstraße bereitmachten, und wusste, es konnte trotz aller Vorsicht des Prinzen passieren, dass einige von ihnen nicht lebend zurückkehrten. Sie musste an einen Lieblingsspruch ihres Vaters denken: »Wer nie eine Krone getragen hat, weiß nicht um ihr Gewicht.« Es versetzte ihr einen Stich, nicht nur, weil sie Olin vermisste, auch weil es so schrecklich schwer war, jemals seinem Vorbild zu entsprechen. Wollte sie wirklich Menschenleben aufs Spiel setzen, nur wegen ihres privaten Bedürfnisses, ihren Vater zu sehen?
    Aber wenn ich nun nie wieder die Chance habe, ihn zu sehen? Oder schlimmer noch, wenn ich ihn hätte retten können, es aber gar nicht erst versucht

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