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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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verheilt«, erklärte sie. »Darum halten mich alle für eine Zwergin.«
    »Was könnt Ihr mir noch über das Lager erzählen?«, fragte Briony. »Sind alle Soldaten hier, oder sind auch noch welche in Südmarkstadt selbst? Wie lange beschießen sie die Burg schon?«
    »Ein Tagzehnt so etwa«, sagte Klein Molly. »Aber sie waren schon Tage vorher da.« Sie sah sich um, obwohl sie im Moment auf freiem Gelände und mehr oder minder allein waren. »Es heißt, der Autarch hat sich mit diesem Hinden Tolly getroffen, ganz im Geheimen. Sie haben irgendeinen Handel geschlossen, aber der ist geplatzt. Und dann haben die Kanonen angefangen zu schießen.« Sie zuckte die Achseln. »Wisst Ihr jetzt, was Ihr wissen wollt? Ich muss mich ein bisschen hinsetzen.«
    »Dann setzt Euch nur.« Briony hockte sich neben sie. Draußen in der Bucht leuchtete die Spitze des Wolfszahnturms im letzten Sonnenlicht wie die Flamme einer Kerze. »Ich habe gehört, der Autarch soll König Olin gefangen halten.«
    »Ach, gehört haben wir das alle. Weiß aber nicht, ob's stimmt. Warum denn auch? Was sollten denn die Südländer mit unsrem König wollen?«
    Ja, was?,
fragte sich Briony.
Und es stellt sich wohl auch die Frage, welches Spiel Hendon Tolly spielt — will er meinen Vater aus irgendwelchen eigenen Gründen freikaufen?
»Dann wisst Ihr also nicht, wo sie den König gefangen halten könnten, wenn sie ihn hätten?«
    Klein Molly sah sie scharf an. »Ihr stellt ganz schön komische Fragen für ein Bettelmädchen. Wo sind meine Kupfermünzen? Ich sag gar nichts mehr, bis Ihr sie mir gebt, kein einziges Wort ...«
    Briony holte eine Silbermünze aus dem Beutel, den sie unter ihren zerlumpten Kleidern trug. »Hier. Die ist mindestens ein Dutzend Krabben wert. Jetzt beantwortet bitte meine Frage. Wo könnte König Olin sein?« Noch während sie das sagte, hörte sie ein seltsam quäkendes Hornsignal über dem Lager erschallen, der Ruf zum Abendgebet vielleicht oder aber ein Alarm — vielleicht ja wegen Eneas' Angriff. Die Zeit rannte davon. »Sagt schon?«
    Klein Molly sah sich beunruhigt um; Briony hörte Männer rufen. Soldaten eilten in alle Richtungen, vielleicht um Waffen oder Harnische aus ihren Zelten zu holen. Eneas hatte Wort gehalten. Jetzt war es an ihr.
    »Woher soll ich so was wissen?«, stöhnte die kleine Frau. »Wer seid Ihr? Warum fragt Ihr solche Sachen?«
    »Ihr würdet mir nicht glauben, wenn ich es Euch erzählte, Klein Molly, aber ich habe Euch das versprochene Geld gegeben — jetzt verdient es auch. Wo würden sie einen so wichtigen Gefangenen unterbringen?«
    »Aber ich weiß es doch nicht? Im Rathaus in der Stadt vielleicht. Ich hab gehört, dort wurden mal Gefangene gehalten, aber vielleicht war das ja auch, als die Zwielichtler hier waren. Ach ja, und auf dem Stadtanger haben die Xixler einen großen Pferch oder so was gebaut — für Tiere, glauben alle hier. Ich hab ein paar Händler drüber reden hören, welche von denen, die das Material gebracht haben — zwanzig Karrenladungen Eisenstangen, nur dafür! Kann man sich so was vorstellen?«
    Briony stand auf. »Behaltet das Silberstück, Klein Molly. Zoria segne Euch.«
    Sie ging, und die Funderlingsfrau sah ihr verwundert nach.
    Das Dämmerdunkel war jetzt voller vorbeieilender Gestalten, naher und ferner Fackeln und lauter, aufgeregter Männerstimmen. Sie betete, dass Eneas und seine Soldaten sich an den Plan halten würden, die Wachgarnison nur so lange anzugreifen, bis diese Verstärkung herbeirief, und dann über die Berge zu fliehen. Die Soldaten des Autarchen würden sie im Dunkeln bestimmt nicht verfolgen und mit etwas Glück auch am nächsten Tag nur einen Alibitrupp auf die Suche schicken, in der Annahme, dass es sich um lokale Banditen oder einen Überraschungsschlag von Hendon Tolly gehandelt hatte.
    Worum war es bei dem Verhandlungsgespräch zwischen Tolly und dem Autarchen gegangen, wenn es denn mehr als nur ein Gerücht war — hatte der xixische Herrscher einfach nur die Kapitulation der Festung gefordert? Aber einer solchen Demütigung würde sich Hendon doch niemals persönlich aussetzen. Hatte er aus irgendwelchen eigenen Gründen versucht, Olins Übergabe auszuhandeln? Ein Schauer überlief sie. Wenn der Autarch ihren Vater nun gar nicht mehr hatte? Wenn Olin jetzt in Hendon Tollys Händen war?
    Briony war dem Weg inzwischen bis zur Marktstraße gefolgt, wo das Acker- und Weideland mit den vereinzelten Bauernhäusern endete und die eigentliche

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