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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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etwas vom Boden auf, ehe sie sich zu der kleinen Gestalt umdrehte.
    »Warum ruft Ihr mir nach?«, fragte sie leise.
    »Weil Ihr meinen Kopf nicht angefasst habt, meine Guteste. Ich würd sagen, Ihr seid keine von den Xixlern, hab ich recht?«
    Briony hatte keine Ahnung, was das heißen sollte. Sie versuchte, die Soldaten unauffällig im Blick zu behalten. Die schauten immer noch ab und zu her, jetzt jedoch lachend. Sie hoffte, dass das alles war, was sie von ihr wollten, ein wenig Belustigung. Sie hockte sich neben die kleine Gestalt, als ob sie miteinander bekannt wären und ein Schwätzchen hielten. »Warum?«, fragte sie. »Was würden denn die Xixier von Euch wollen?«
    Die Gestalt schlug die weite Kapuze zurück und enthüllte ein kleines, rundes Gesicht, wie das eines Kindes, aber nicht jung. »Sie wollen immer meinen Kopf anfassen. Sie glauben, Zwerge bringen Glück.«
    Briony war so überrascht, dass ihr herausrutschte: »Ihr seid ein Funderling!«
    Die kleine Frau schien erstaunt. »Na so was, wenn ich nicht schon wüsste, dass Ihr keine von den Xixlern seid, hätt ich's spätestens jetzt gemerkt«, sagte sie. »Normalerweis kennen die Leute draußen auf dem Land zwar die alten Geschichten, aber gesehen haben sie noch keinen von uns. Habt Ihr in der Stadt gewohnt, mein Täubchen?«
    »Ich ... früher mal, ja.« Briony riskierte einen Blick. Die Soldaten standen immer noch da. Sie erwog, einfach weiterzugehen. Es war jetzt dämmrig, also fast schon die Zeit des Sonnenuntergangsgebets — der verabredete Moment für Eneas' Angriff auf die Wachgarnison.
    »Er ist einer von den Weißen Hunden«, erklärte ihr die Frau. »Der Lange da in den schwarzen Sachen. Solche hat der Autarch mal als Kinder einfangen und dann aufziehen lassen. Er züchtet sie und richtet sie ab wie Jagdhunde. Es heißt, sie sind die grausamsten Soldaten in seinem ganzen Heer.«
    Briony wollte nichts mit dem Weißen Hund oder irgendwelchen anderen xixischen Soldaten zu tun haben, und je länger sie hier blieb, desto größer wurde die Wahrscheinlichkeit, dass etwas schiefging. »Ich muss weiter«, sagte sie und stand auf, wobei sie sich schwer auf ihren Stecken stützte und ihr Bestes tat, wie eine alte Frau mit schmerzenden Beinen auszusehen.
    »Ihr seid nicht hier aus der Gegend«, sagte die Funderlingsfrau, »und jetzt, wo ich Euch von nahem seh — Ihr seid auch kein altes Weiblein. Ich weiß nicht, was Euer Geschäftstrick ist, Herzchen, aber ich sag Euch, es lohnt sich nicht. Geizkragen? Die Südländer hier, die halten ihre Münzen so fest, dass die Dinger Zeter und Mordio schreien. Drei Tage bin ich jetzt schon hier, und was hab ich eingenommen?« Sie zog eine Mütze heran, in der ein halbes Dutzend Kupfermünzen lagen. »Da, seht Ihr? Bei denen ist der Beutel so fest zu wie Perins Arsch.«
    Wider Willen musste Briony über diesen blasphemischen Vergleich lachen. »Wie heißt Ihr?«, fragte sie.
    »Man nennt mich Klein Molly.«
    »Das ist kein Funderlingsname.«
    »Nein.« Wieder sah sie Briony forschend an. »Und wie heißt Ihr?«
    »Wirklich ein seltener Zufall, aber mich nennt man auch Klein Molly.«
    Jetzt war es an der Funderlingsfrau zu lachen. »Tja, von jetzt an müssen sie Euch wohl Groß Molly nennen. Aber Ihr müsst Euch einen anderen Platz suchen. Das hier ist meiner. Seht Ihr, da? Das ist das Bierzelt, und da wird auch gespielt. Sie kommen und werfen mir ein Kupferstück hin und fassen meinen Kopf an, damit die Würfel richtig fallen.«
    Briony kam eine Idee. »Könnt Ihr laufen?«
    »So gut wie Ihr!« Klein Molly war empört. »Nur nicht schnell. Die Beine sind zu kurz, und ... na ja, ein bisschen lahm bin ich schon.«
    »Dann kommt mit mir, und ich gebe Euch ...«, sie überlegte, was sie an Geld dabeihatte, »... sagen wir, fünf Kupferstücke. Wie wär's?«
    Jetzt sah die Funderlingsfrau argwöhnisch drein. »Was wollt Ihr von mir? Und woher habt Ihr so viel Geld?«
    So viel Geld? Briony kamen fast die Tränen. Bei aller Keckheit war Klein Molly sehr dünn und blass, als ob sie schon länger nicht mehr ausreichend gegessen hätte. »Lasst das nicht Eure Sorge sein. Kommt einfach mit — ich bin es leid, die ganze Zeit von diesen Soldaten begafft zu werden.«
    Die Funderlingsfrau hievte sich hoch, und zusammen folgten sie dem Hauptweg. Die kleine Frau ging so vorsichtig, als wollte sie Briony zeigen, wie es wirklich aussah, schwache, unsichere Beine zu haben. »Hab sie mir als Kind gebrochen, sind nimmer richtig

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