Das Herz
Stadt begann. Hier standen die Häuser Wand an Wand, und die Straßen waren eng, was es wesentlich schwerer machte, xixischen Soldaten auszuweichen, aber es war jetzt dunkel, und die Fackeln des Autarchenheers gaben der großen Abstände wegen wenig Licht, was Brionys Verkleidung verlässlicher machte.
Selbst hier, wo die Soldaten nicht direkt auf das Alarmsignal des Horns zu reagieren schienen, hörte Briony Anspannung in den Stimmen der Männer, die ihr begegneten. Da und dort lehnten sich Soldaten aus den oberen Fenstern und riefen ihr auf Xixisch etwas zu. Ein paar kamen sogar herunter und bedeuteten ihr, ins Haus zu kommen, aber sie winkte nur dankend ab und hinkte weiter, so schnell sie sich getraute. Der langbeinige Dowan Birk hatte sie gelehrt, auch bei anstrengenden Körperhaltungen die Muskeln nicht zu verspannen, also würde sie diesen unsicheren, stockenden Gang noch ein Weilchen beibehalten können, aber es war doch schmerzhaft und ermüdend.
Sie humpelte über die Wiesenhügelbrücke und an einem ausgebrannten Tempel vorbei. Als sie fast am Stadtanger war, bog sie von der Hauptstraße ab und vergewisserte sich immer wieder, dass ihr niemand folgte. Schon in normalen Zeiten waren die Straßen rund um den Seemarkt nach Einbruch der Dunkelheit das Revier von Dieben und schlimmerem Gesindel. Sie kam ein kleines Stück südlich des Platzes wieder heraus, ging dann weiter auf den Stadtanger und langsam auf die Fackeln zu. In deren Licht schimmerte das riesige Gebilde so bleich wie ein Pilz auf einer nächtlichen Waldlichtung.
Das Zelt war wohl hundert Schritt breit, aber selbst in der Mitte nur etwa zehn Schritt hoch. Mit Dutzenden von Seilen abgespannt stand es da, ein gewaltiges, spitzes, weißes Gebilde im Zentrum des Angers, wo sonst immer die Schafe der Stadt geweidet hatten. Ringsherum loderten Fackeln, und Grüppchen von mehreren Soldaten bewachten nicht nur den Vordereingang, sondern offenbar auch die übrigen Seiten. Mit einiger Erleichterung stellte Briony fest, dass da außerhalb des Fackelrings nicht viel Licht war. Wenn sie nur genügend Abstand hielt, würde sie niemand sehen, solange sie überlegte, was sie tun sollte.
Sie ging, so schnell sie konnte, um den Anger herum, hielt sich dabei im Schatten von Bäumen oder drückte sich in die Eingänge leerstehender Häuser, deren es etliche gab. Wie sie schon befürchtet hatte, waren auf allen Seiten des Zelts Wachen postiert, aber die Grüppchen standen in großen Abständen und konnten nicht um die vorspringenden Zeltecken herumschauen. Shaso hätte für denjenigen, der für die Aufstellung dieser Wachen verantwortlich war, nur Hohn und Spott übriggehabt. Der Idiot hatte dafür gesorgt, dass ein Spion, der sich anschlich, nur an einem Grüppchen von Männern vorbeikommen musste, was unter anderem Ablenkungsmanöver erleichterte.
Briony brauchte jedoch gar kein Ablenkungsmanöver, denn während sie noch hinter einem Brunnen auf einer Seite des Angers hervorspähte, preschte ein Trupp bewaffneter Reiter unter lautem Hufgetrommel und Waffen-auf-Schilde-Schlagen vorbei, zweifellos zur Mühlradstraße und der angegriffenen Garnison — Verstärkung. Die Falle würde sich bald um Eneas schließen, wenn er nicht genügend Abstand zwischen sich und diese Hetzhunde legte.
Barmherzige Zoria, hilf ihnen, rechtzeitig zu entkommen!
Eneas war ein guter Mensch — ein wunderbarer, tapferer Mann. Sie mochte ihn, musste sie zugeben, mehr als ihr oft bewusst war. Plötzlich fiel ihr etwas ein:
Und hilf auch mir, sanftmütige Göttin, bitte!
Fast hätte sie vergessen, für sich selbst zu beten. Sie fragte sich, ob Zoria wohl bestechlich war, und befand, dass ein Versuch wohl nichts schaden konnte.
Wenn die Eddons den Thron zurückerlangen, baue ich dir einen schönen Tempel, Herrin!
Als der xixische Verstärkungstrupp vorbeidonnerte, traten die nächststehenden Wachen am Zelt auf den Anger hinaus, um sie besser beobachten zu können. Briony begriff, dass ein günstigerer Moment wohl nicht kommen würde. Sie rannte am Rand des Angers entlang, wartete, bis der Verstärkungstrupp fast am Zelt vorbei war. Dann, als die Wachen der ihr nächstgelegenen Zeltecke fast den Rücken zukehrten, rannte sie zwischen den Bäumen hervor und über den Anger, so tief geduckt, dass sie Mühe hatte, nicht zu stolpern. Aber vielleicht hatte Zoria ja beschlossen, sich auf den Handel einzulassen. Niemand schlug Alarm, und ein paar endlos scheinende Augenblicke später kauerte
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