Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
oft im ganzen Körper gespürt. An Tagen, an denen es hieß, die Bienen seien glücklich, nahm man es überall im Bienentempel wahr, ein kräftiges Brummen, so tief, dass man es nicht hörte, sondern fühlte.
    Es war alles ein Traum gewesen — nur ein schrecklicher Traum. Duny lag im Nachbarbett, und bald würden sie aufstehen und sich mit kaltem Wasser die Haare waschen. Sie würde ihrer Freundin diesen albernen Traum erzählen, und sie würden beide lachen — als ob die kleine Qinnitan, die noch kaum Brüste hatte, zu einer der Ehefrauen des mächtigen Autarchen erwählt werden könnte! Alle Mädchen würden lachen, aber das machte Qinnitan nichts aus. Sie war froh, zu Hause und in Sicherheit zu sein — bewacht von den Bienen und den Priesterinnen und sogar dem mächtigen Vater Nushash selbst.
    Aber warum summten Nushashs heilige Bienen Wörter?
    » ...
ist Panhyssir? Ihr habt doch rufen lassen ... Stunde ...«
    » ... zu viel. Der Oberpriester wollte ... sobald er ...«
    Ihr Kopf schmerzte. Ihre Knie schmerzten. Ihr Arm schmerzte furchtbar. War er gebrochen? Was war passiert?
    »Genug, Vash, Ihr flattert herum wie ein altes Weib, das geht mir auf die Nerven. Außerdem ist sie wach.« Die wohlige Wärme, das Gefühl der Geborgenheit waren augenblicklich weg. Diese Stimme kannte Qinnitan.
    »Wach?«
    »Merkt Ihr's nicht? Sie atmet anders. Sie liegt so gekrümmt wie ein Bogen da und versucht uns weiszumachen, sie wäre weit weg. Und das ist ihr ja auch gelungen — bei Euch jedenfalls!« Dieses hohe, melodische Lachen — ihr drehte sich der Magen um. Es war eine Melodie, gespielt auf Instrumenten aus Menschenknochen und Menschenhaut.
    Jemand beugte sich über sie — selbst durch die geschlossenen Lider sah sie den Schatten. Wer es auch war, er roch nach Pomandern und Duftöl. »Seid Ihr sicher, o Goldener?«
    Sie wollte sich übergeben. Sie wollte schreien.
    »Mehr als sicher.« Wieder das Lachen. »Tätschelt ihr doch mal liebevoll die Wange. Mach die Augen auf, meine verängstigte kleine Braut! Du bist endlich wieder bei deinem rechtmäßigen Herrn.«
    Sie wollte nichts sehen, wollte nichts wissen. Das Schlimmste war eingetreten.
    »Augen auf, oder ich lasse sie auf eine Art öffnen, die dir nicht gefallen wird.« Dabei war sein Ton sanft und vernünftig. Qinnitan gab auf und sah ihn an, fühlte sich innerlich abgestorben.
    Sulepis war unverändert: Größer als alle Männer, die sie kannte, elegant und goldbraun lehnte er in einem riesigen Kissenberg auf dem Boden eines großen, von Lampen erhellten und mit kostbaren Stoffen und Spiegeln dekorierten Zelts. Der Autarch trug seinen goldenen Falkenhelm, goldene Fingerschützer und goldene Sandalen, sonst aber nichts. Seine Haut wirkte glatter als gewöhnliche Menschenhaut, als wäre sein Körper aus Speckstein geschnitzt.
    Er streckte den Arm in ihre Richtung und spreizte die langen Finger, als könnte er quer durchs Zelt nach ihr greifen. »Dein Blut leitet dich richtig, Priestertochter. Dein Erbe spürt die Nähe des Schicksals, der großen Veränderung, die über diese Welt kommt, und treibt dich zu mir. Du bist gerade rechtzeitig zurückgekehrt.« Er lächelte — ein weißer Schlitz in seinem schmalen Gesicht, nicht heiterer oder auch nur menschlicher als das Grinsen eines Krokodils. Der Autarch hatte sie in seiner Gewalt — all ihre verzweifelten Anstrengungen waren umsonst gewesen.
    Er zeigte mit einem langen, goldgeschützten Finger auf sie. »Du bist etwas Besonderes, Kind, und das gehört belohnt. Ich verspreche dir, du wirst als Letzte sterben, damit du es alles sehen kannst — ja, du wirst sehen, wie ich mich mit Ruhm bedecke wie mit einem Straußenfedernumhang ...«

23

Ein Sturm von Flügelschlagen
    »Und der kleine Adis träumte allnächtlich von einem Schwarm Merletten, die ihn unablässig umkreisten. Die kleinen Vögel erklärten ihm, sie könnten nicht landen, weil der Boden zu kalt sei. Sie seien dazu verdammt, auf ewig in der Luft zu bleiben ...«
    Der Waisenknabe, sein Leben und Sterben und himmlischer Lohn — ein Buch für Kinder
    Die Namen und Visionen drängten auf Barrick ein wie Bettler — der Moment vor dem Angriff in unzähligen Wiederholungen durch die gesamte Geschichte des Volkes, wie ein alptraumhaftes Ritual ...
    Der Geisterwald, wo die Traumlosen in ihren Schleiern von Düsternis warten, unsichtbar im Zwielicht, und ihre auserlesenen Stratimanten alle zugleich Totengesänge flüstern, sodass der ganze Wald raschelt, obwohl

Weitere Kostenlose Bücher