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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Königinnen, hundert Vorfahrinnen, die in ihr waren, das fühlte Barrick. Er fühlte ihre vielfache heiße Wut und ihre vielfache kalte Genugtuung, als sie kämpfte, vernahm sogar ahnungsweise den Chor der Kriegerköniginnen, von dem Saqri selbst nur ein Teil war, eine Gedankenmusik, so kompliziert und bizarr, dass er sie kaum zu hören, geschweige denn zu verstehen vermochte, obwohl sie seinen Kopf füllte.
    »Weißfeuer!« Es war gleichzeitig in seinem Denken und auf seinen Lippen — Weißfeuer, der Sonnengott, Bruder des unseligen Silberglanz. Und Weißfeuer, das Schwert des Gottes, das Yasammez so lange zur Verteidigung ihres Volkes getragen hatte. Es fühlte sich richtig an. »Weißfeuer!«, rief Barrick wieder und sah plötzlich — nein, sah nicht nur, sondern erlebte für einen Moment wirklich — die letzte, zum Scheitern verurteilte Attacke des Gottes gegen die Monster, die seinen Bruder Silberglanz getötet hatten, gegen die verhassten Stiefbrüder und Rivalen, die Kinder Feuchtes. Barrick stürmte vorwärts, und die Schlacht umbrauste ihn wie tosendes Wasser. All die Schlachten umbrausten ihn. Ein Kriegsgesang, der viele Gesänge und viele Klänge war, erfüllte seinen Kopf, von so vielen Stimmen gesungen, dass er nicht mehr sagen konnte, welche Gedanken seine eigenen waren, was ihn jedoch auch nicht kümmerte. Wie ein Lachs gegen den Anprall des Flusses schwamm Barrick Eddon hinein in das Dunkel und das Blut und all die Geräusche des Todes, die auf engem Raum tobten.

    Briony hatte geglaubt, dass sie nach diesem Jahr der unglaublichsten Seltsamkeiten nichts mehr überraschen könnte, wurde jedoch eines Besseren belehrt, als sie beim Aufwachen ein Männlein, kleiner als der Stummel ihrer Kerze vom Vorabend, neben sich auf dem Kopfkissen stehen sah. Erschrocken fuhr sie hoch. Sie machte die Augen zu und wieder auf, aber das winzige Männlein war kein Traum gewesen.
    »Den Führer dieser Scharen such ich«, rief er zu ihr empor. »Bring für selbgen wichtge Nachricht.« Er verbeugte sich vor ihr. »Giebelgaup der Bogenschütz bin ich. Seid Ihr Prinzessin Briony, des guten Olins Tochter?«
    Hundert verschiedene Antworten lagen ihr auf der Zunge, doch was schließlich herauskam, war ein verblüfftes Kichern. »Barmherzige Zoria«, sagte sie. »Ja, die bin ich. Was seid
Ihr?«
    »Hab ich doch grad erklärt.« Sie sah ein irritiertes Stirnrunzeln auf seinem winzigen Gesicht, dann weiteten sich seine Augen. »O Königliche Hoheit, ich bitt Euch um Pardon? Wollt unsereinem die rohen Kundschaftermanieren verzeihn?«
    Dass sie immer noch schlief, schien Briony unwahrscheinlich, aber sie konnte nicht umhin, sich zu fragen, ob sie den Verstand verloren hatte. »Ihr sagtet, Ihr seid ... Giebelgaup?« Sie schüttelte den Kopf. »Aber
was
seid Ihr, Giebelgaup?« Das erste Tageslicht kroch gerade unter ihrer Zeltklappe hindurch. Sie hörte, wie sich das Lager draußen regte, und roch die frisch entzündeten Feuer. Wenn die Situation auch noch so seltsam war — beim Geruch des Holzrauchs knurrte ihr der Magen.
    »Ich werde Euch zu Prinz Eneas bringen«, sagte sie schließlich. »Das hier sind seine Männer. Aber ich sollte Euch wohl besser tragen.« Sie starrte ihn an. »Wie seid Ihr hierhergekommen? Seid Ihr ... vom Himmel gefallen?«
    Sein Lächeln war nicht größer als eine Wimper und dennoch sehr charmant. »In gewisser Weis ... jawohl, edle Dame. Ich kam als reitender Kurier. Mein Federross ließ ich auf einem Aste.«
    »Euer was, wo? Federross ...?«
    Er sah sie überrascht an. »Mein Vogel, Hohe Majestät.« Er argwöhnte jetzt sichtlich, dass sie sich über ihn lustig machte. »Ich flieg ja lieber eine Flattermaus, doch ließ ich dieser ihren Schlaf, jetzt da die Sonn schon aufgegangen ist, und kam per Täuberich.«
    »Mehr kann Euch Herrn ich nicht verheißen«, erklärte das Männlein Prinz Eneas und dessen Hauptleuten. Giebelgaup gab sich alle Mühe, still auf Brionys ausgestreckter Hand zu stehen, doch wenn er auch nur sein Gewicht aufs andere Bein verlagerte, kitzelte es. »Nur so viel, dass die Kön'gin meines Volks und die der Elben beide sagen, wenn Ihr und Eure Mannen zum Lager des Autarchen kämt, gäb's dort für Euch vielleicht was Lohnendes zu sehn. Sie raten Euch, in voller Stärke zu erscheinen.«
    »Es gibt
vielleicht
etwas zu sehen?« Graf Helkis sah auf den kleinen Mann hinab; in seinem Blick lagen Abscheu und noch etwas anderes, möglicherweise Angst. »Hält man uns für so dumm, in eine

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