Das Herz
aufgeräumter und beherrschter, als Kettelsmit ihn zuletzt gesehen hatte. Er hatte gebadet und ein sauberes Wams und eine saubere Hose angelegt; abgesehen von einer gewissen Wildheit in seinem Blick und seinem ununterbrochenen Auf- und Abgehen und Gestikulieren schien er fast wieder der alte Hendon Tolly.
Anissa versuchte, seinen Lügen zu glauben, aber es fiel ihr nicht leicht. »Warum Ihr nehmt ihn mir weg, Reichshüter Tolly? Warum Ihr behandelt mich so, wo ich immer habe freundliche Worte für Euch und ... freundliche Hilfe?« Ihr Akzent, schon im Normalfall stark, war jetzt geradezu übermächtig. »Gebt mir ihn einfach zurück, und ich bringe Euch, wenn Ihr ihn braucht.«
»Aber ich brauche ihn jetzt, liebe Anissa.« Hendon lächelte, aber seine Geduld ging offensichtlich zur Neige. Er hielt den Säugling so unbeholfen wie ein penibler Gelehrter, dem man ein dreckiges Ferkel in die Arme gedrückt hat. »Genug geredet. Geht in Eure Gemächer zurück, und ich verspreche, ich bringe ihn Euch bald gesund und wohlbehalten zurück.«
»Aber warum Ihr nehmt ihn? Für was?« Sie versuchte zurückzulächeln, aber es war quälend, das Ergebnis mit anzusehen. »Ihr könnt überhaupt nicht brauchen so ein kleines Kind!«
»O doch, ich brauche ihn, meine Königin, und Ihr müsst mir vertrauen. Habe ich Euch nicht immer geholfen, seit Euch Euer Gemahl genommen wurde? Habe ich Euch nicht durch diese wahrhaft schwierigen Zeiten geleitet und Euch geschworen, dass Alessandros die Nachfolge seines Vaters antreten wird?«
»Aber warum Ihr braucht mein Baby?« Sie riss sich von dem Wachsoldaten los, der sie am Arm hielt, und warf sich vor Hendon Tolly auf die Knie. Es tat weh, sie so zu sehen — wie ein Trinker, der um einen letzten Schluck bettelt.
»Das reicht. Ich habe nicht die Zeit, alles zu erklären. Geht in Eure Gemächer zurück, Anissa.« Tollys Geduldsfaden konnte jetzt jeden Moment reißen. Sein Versuch, normal und gelassen zu wirken, fiel bereits in sich zusammen.
»Nein!« Sie kroch schnell auf ihn zu und umschlang seine Beine. »Bitte, Hendon! Ich flehe Euch an! Nicht das! Nicht mein Sandros!«
»Um aller Götter willen, schafft mir diese Frau vom Hals, ihr Idioten.« Tolly stieß sie mit dem Fuß weg und vermochte dabei das Kind, das jetzt wieder zappelte und schrie, nur mit Mühe festzuhalten. Er schaffte es, den Absatz gegen die Schulter der Königin zu stemmen und sie sich so vom Leib zu halten, obwohl sie heulend nach seinen Beinen hangelte. Schließlich rissen die Wachen sie weg, zogen sie hoch und mussten sie umklammert halten, weil sie immer noch kreischend darum kämpfte, wieder zu Tolly zu gelangen.
»Bringt sie weg«, sagte er. »Schließt sie in ihren Gemächern ein — nein, dort wird sie nur einen Riesenaufstand machen. Schließt sie in den gepanzerten Raum im nächsten Stockwerk ein. Gebt ihr zu essen und sorgt dafür, dass sich jemand um sie kümmert —
eine
Dienerin, eine junge —, aber ich will sie nicht mehr sehen, bis ich sie rufen lasse.«
Die Wachen schleppten die Königin hinaus, was nicht leicht war, denn Anissa, obgleich so klein und zierlich, widersetzte sich jedem Schritt, und selbst auf Tollys Befehl brachten es die Wachen nicht über sich, mit der Gemahlin des Königs grob umzuspringen.
Als sie draußen waren und die jämmerlichen Schreie der Frau endlich verklangen, legte Tolly das Kind auf sein Bett, wo es strampelte und weinte.
»Weißt du, wie man einem Kind die Unterwäsche wechselt?«, fragte ihn Tolly plötzlich.
»Verzeihung?« Damit hatte Kettelsmit nicht gerechnet.
»Das Wesen stinkt. Es muss zweifellos gesäubert werden. Wir müssen eine Frau finden, die das erledigen kann.« Der Reichshüter schüttelte angewidert den Kopf. »Meine Bibliothek ist klein — ich gedenke sie nicht mit diesem scheußlichen Gestank zu teilen.«
»Bibliothek, Herr?«
»Es gilt Beschwörungsformeln zu sprechen, Tränke zuzubereiten und sie diesem kleinen Biest einzuflößen«, sagte Tolly mit einem ekelerfüllten Blick auf den kleinen Alessandros Eddon. »Okros hatte es mir erklärt, wenn ich mich auch nicht an alles erinnern kann, was er gesagt hat. Egal! Du bist auch ein Gelehrter ... in gewisser Weise. Wir haben seine sämtlichen Bücher und Unterlagen. Und wir haben noch gut einen Tag bis zur verdammten Mittsommermitternacht des Autarchen — massig Zeit. Das magische königliche Blut ist schließlich schon da.« Unvermittelt lachte er — lange, laut und schroff. »Ja, das
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