Das Herz
Tempelhunde und ihre Bediensteten dabei, das ohnehin aufs Nötigste beschränkte Lager abzubrechen. Der Strand war mit Fackeln übersät. Bei jedem der langen, niedrigen Boote steckte mindestens eine im Sand, sodass es Briony vorkam, als ginge sie durch einen Wald von Lichtern. Neben den Booten warteten Dutzende von Skimmern, viele in einer Rüstung, die aus streng riechender getrockneter Fischhaut bestand, und mit Bogen, Speeren und langen zweizackigen Spießen — Waffen, die ihr eher für die Jagd auf Haie geeignet schienen.
Aber diese Skimmer hatten mehr als ihren Teil getan, wurde ihr bewusst, weit mehr, als nur ein paar xixische Soldaten zu töten. Die Flotte des Autarchen in Brand zu stecken — auf der Brennsbucht dümpelten lediglich verkohlte, funkensprühende Schiffsrümpfe und einige immer noch brennende Wracks — war eine Tat gewesen, die in den kommenden Stunden entscheidend sein konnte.
Eneas kam über den Sand heran. »Ich habe Männer die Stadt durchkämmen lassen. Ich bin mir jetzt sicher, dass der Rest der Xixier in die Hügel geflohen ist. Nichts mehr zu finden ...« Er war jetzt bei ihr angelangt. »Ihr seht nicht wohl aus, Briony.«
»Wie sollte ich? Ihr habt doch selbst gesehen, dass mein Bruder sich benahm, als würden wir uns nicht kennen.«
Der Prinz schien nicht recht zu wissen, wie er sich verhalten sollte.
Er mag keine Probleme, die er nicht lösen kann,
dachte Briony. Sie hatte zwar selbst den Verdacht, dass sie ihm unrecht tat, aber im Moment war ihr das egal.
»Ich habe schon öfter erlebt, wie sehr der Krieg Männer mitnehmen kann, Prinzessin ...«
»Er ist nicht verrückt. Nicht der Krieg hat ihm das angetan, sondern diese Qar-Frau, Saqri. Sie hat meinen Bruder verhext.« Sie sah sich um. »Wo sind sie?«
»Gegangen«, sagte Eneas. »Zurück in die Klippenhöhlen. Zurück in den Fels unter der Burg.«
Kurz verschwammen die brennenden Fackeln, Eneas' Gesicht und selbst die wenigen Sterne, die matt durch den Rauch blinkten, als ihr wieder die Tränen kamen. Sie wischte sich die Augen mit der Faust. »Genug«, sagte sie. »Genug geredet. Tun wir, was zu tun ist.«
»Es ist fast alles bereit«, erwiderte er. »Ich muss mich nur noch um ein paar Dinge kümmern ...«
»Dann kümmert Euch darum«, sagte sie. »Macht Euch um mich keine Sorgen, Eneas. Ich werde nicht ins Wasser gehen und mich ertränken. Ich bin aus härterem Holz geschnitzt.«
»Aber ich habe nie ...«
»Geht jetzt.« Sie kehrte ihm den Rücken zu und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen, zu den wartenden Booten hinab. Am Wasser schritt sie von Fackel zu Fackel und versuchte, den wütenden, verzweifelten Gedanken, die in ihrem müden Kopf durcheinanderschwirrten wie Bienen, keine Beachtung zu schenken. Die Skimmer beobachteten sie mit ausdruckslosen, glubschäugigen Gesichtern.
»Prinzessin Briony?«
Sie drehte sich um und sah sich einem der gepanzerten Skimmer gegenüber. Irgendetwas am haarlosen Gesicht des Burschen war merkwürdig — Briony ging auf, dass
er
in Wirklichkeit eine
Sie
war.
»Kenne ich Euch ...?« Sie blinzelte ins Schummerlicht. »Barmherzige Zoria, seid Ihr das? Ena, die Tochter des Stammesführers?«
Das Mädchen nickte. »Freut mich, dass Ihr Euch an mich erinnert, Hoheit. Wir haben ja nur eine Nacht zusammen im Boot gesessen.«
»Die schrecklichste Nacht meines Lebens — bis dahin jedenfalls.« Briony schüttelte den Kopf. »Aber warum tragt Ihr eine Rüstung und kämpft mit dem Mannsvolk?«
Ena lachte. »Das Gleiche könnte ich Euch fragen! Sieht so aus, als ob wir uns beide für diese letzten Tage noch was vorgenommen hätten.«
»Letzten Tage?«
Das Skimmermädchen zuckte die Achseln. »So oder so. Das hat Egye-Var klar gesagt« Ohne den Helm war sie wesentlich leichter wiederzuerkennen; ihre ernsten, schwerlidrigen Augen und ihre hohe Stirn erinnerten Briony an Dinge und Zeiten, die sie lieber vergessen hätte. »Und wie geht's dem Waffenmeister Shaso?«, fragte Ena.
Das war die Erinnerung, die Briony fernzuhalten versucht hatte. »Er ist tot, die Götter mögen ihm Frieden schenken. Er war ein guter Mensch. Er kam bei einem Brand in Landers Port um, als unser Haus überfallen wurde.« Auf Hendon Tollys Geheiß, da war sie sich ziemlich sicher; jemand musste den örtlichen Grundherrn zu dem Überfall angestiftet haben. Briony war wütend über Prinz Eneas' Entscheidung, die Anweisungen der Qar-Königin Saqri zu befolgen, aber wenigstens bedeutete das für sie die
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