Das Herz
Auftauchen am Basiliskentor vor der Kulisse der brennenden xixischen Schiffe zunächst überrumpelt — ließen sich rasch in die Hauptburg zurückfallen. Berkan Hud und seine Soldaten pressten Hunderte in der Burg befindlicher Menschen in ihre Dienste, indem sie sie zwangen, Kanonen, die man vor dem Ansturm der Qar gerettet hatte, auf die Mauern der Hauptburg zu hieven, und als an Brionys erstem Morgen zu Hause in Südmarksburg die Sonne aufging, feuerten diese Kanonen von den Türmen des Rabentors herab.
»Wir haben unsere eigenen Demi-Kanonen auf dem Basiliskentor und der äußeren Mauer«, erklärte Eneas in dem hohen Kaufmannshaus an der Nordlagune, in dem sie und die syanesischen Offiziere Unterschlupf gefunden hatten. Von den Fenstern im obersten Stock konnten sie die Rauchfahnen der Kanonen auf dem Rabentor sehen, doch im Moment schienen Hud und seine Leute nicht zu wissen, wo sich der Feind befand, und einfach nur blind drauflos zu feuern. Die Morgenluft vom Meer her war warm und feucht und so salzig wie Blut; der Frühling schien von einem Tag auf den anderen in Herbst umgeschlagen zu sein. »Wir könnten einige dort lassen, für den Fall, dass die Truppen des Autarchen zurückkehren, und die übrigen bis heute Abend gegen die Hauptburg in Stellung bringen.«
Briony schüttelte den Kopf »Tolly hat Unschuldige um sich gesammelt. Ich werde nicht auf mein eigenes Volk schießen.«
Eneas nickte. »Ich verstehe Euren Standpunkt, Prinzessin. Würde vielleicht sogar ebenso denken. Aber ich bin mir nicht sicher, ob Ihr Euch so viel Rücksicht leisten könnt. Wenn es stimmt, was Euer Vater gesagt hat, haben wir nur noch bis morgen um Mitternacht, ehe der Autarch ... nun ja, tut, was immer er plant.«
»Aber der Autarch ist tief unter der Burg. Das hat diese Hexe Saqri doch gesagt.«
Er zuckte die Achseln, hielt sich an das, was ihm als pragmatischem Krieger einleuchtete. »Ich bin sicher, Ihr erinnert Euch genauer als ich an die Worte der Zwielichtlerkönigin, aber ich weiß, dass sie gesagt hat, ›Jede Schlacht hier zählt‹. Sie sagte, es seien viele verschiedene Stränge von Gefahr, wie ein Spinnennetz, und niemand könne mit Sicherheit sagen, welcher Strang mit welchem zusammenhängt.«
Briony löste den Tuchstreifen, der verhindern sollte, dass ihr Schweiß in die Augen rann, und band ihn neu. Schon der bloße Gedanke, sich der Zwielichtlerkönigin unterordnen zu sollen, dieser Kreatur, die ihren Bruder gestohlen hatte, erfüllte sie mit maßloser Wut. »Das ist mir egal. Ich werde keine Kanonen auf meine eigenen Untertanen richten, solange die Leute nicht für Tolly die Waffen ergreifen. Und auf Kanonenschussentfernung lässt sich das unmöglich feststellen.«
Graf Helkis, der Freund und Vizekommandeur des Prinzen, räusperte sich. »Ich bitte um Verzeihung, Prinzessin Briony, aber das hier ist keine normale Belagerung. Wir können nicht einfach die Zeit für uns arbeiten lassen. Nach allem, was wir gehört haben, hat Tolly im Palast Vorräte für Monate angelegt. Glaubt Ihr, wir könnten diese Feinde zur Aufgabe zwingen, indem wir ihnen einfach nur mit dem Finger drohen?«
»Miron«, sagte Eneas warnend.
»Nein, Hoheit, es muss gesagt werden.« Der junge Edelmann wandte sich wieder an Briony. »Ich werde aussprechen, was mein Lehnsherr, sei es aus Gründen des Herzens oder der Höflichkeit, nicht aussprechen kann. Wenn die Zwielichtler recht haben, Prinzessin, stürzt Ihr durch dieses Zaudern Euer eigenes Volk ins Verhängnis.«
»Miron! Das geht zu weit ...!«
»Nein, Eneas.« Briony hob die Hand. »Er tut nur, was jeder gute Ratgeber tun sollte — sagen, was er für die Wahrheit hält.« Sie wandte sich an Helkis. »Ja, Graf, es ist ein Dilemma. Aber ich werde niemanden aufs Geratewohl Kanonenkugeln ins Herz meiner Burg feuern lassen. Tolly hat viele meiner Untertanen um sich geschart. Selbst unter den Soldaten herrscht vermutlich die Überzeugung, dass sie die Burg gegen den Autarchen, die Zwielichtler oder sonst irgendwelche fremden Invasoren verteidigen. Nein, ich kehre nicht in meine Burg zurück, indem ich Blut vergieße, das ich nicht vergießen muss.« Sie runzelte die Stirn, weil ihr plötzlich etwas einfiel. Wie oft hatte ihr Vater gesagt: »Auch ein guter König wird immer Blut an den Händen haben ...«? Unzählige Male. Briony hatte geglaubt, er meinte einfach nur, dass Kriege nicht immer vermeidbar seien, aber jetzt erkannte sie die Wahrheit: Olin hatte sagen wollen, dass fast
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