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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Vansen zuckte die Achseln. »Schon gar nicht jetzt, da selbst die Götter verwirrt scheinen. Vor einem Jahr dachte ich, ich würde mit Sicherheit hinter der Schattengrenze sterben. Es war nicht so. Wer weiß, was kommt, Bruder Sinter? Nur die Schicksalsschwestern. Zieht Euren Helmriemen straff und trinkt einen Schluck Wasser. So bald werdet Ihr wohl keinen mehr bekommen.«

    Pinnimon Vash hatte keine Ahnung, was das für eine Veranstaltung werden sollte. Es wirkte wie einer der üblichen kapriziösen Einfälle seines Herrn — eine Zeremonie, anscheinend religiöser Art, aber in Anwesenheit eines ganzen Kontingents Leoparden. Vash hatte Panhyssir informieren lassen, damit das Heiligtum bereit wäre.
    Zu Vashs unermesslicher Erleichterung war der Nordländerkönig ausnahmsweise nicht zu sehen. Auch das Mädchen mit der roten Haarsträhne war aus dem Raum entfernt worden, sodass von den Dingen, die die Aufmerksamkeit vom Autarchen ablenken könnten, jetzt nur noch der Nushash-Schrein blieb — wobei mit Sulepis nichts ernsthaft konkurrieren konnte. In seiner goldenen Zeremonialrüstung mit dem hohen Falkenhelm wirkte der hochgewachsene Herrscher tatsächlich wie ein Wesen, das weit über jedem gewöhnlichen Menschen stand. Die Augen des Autarchen schienen den Glutschein der Fackeln gebündelt zurückzuwerfen: Fast orangefarben glommen sie unter dem goldenen Schnabel der Krone. Zwei Dutzend Leoparden standen vor, hinter und zu beiden Seiten neben ihm, bildeten eine Art menschlichen Käfig, der bei Vash einen Moment lang die bizarre Vision vom Autarchen als Gefangenem hervorrief. Doch Sulepis überragte selbst die größten der Leoparden fast um Haupteslänge: Es sah nicht so aus, als könnte ihn dieser Käfig aus Männern jemals halten.
    Ohne zu wissen, was der Autarch plante, hatte Vash getan, was seines Amtes war, und wartete jetzt mit gespannten Nerven. Manchmal dachte er, einem so launischen, mörderischen Herrn wie Sulepis zu dienen müsse Ähnlichkeit damit haben, ein Vogel zu sein. Der Wind schlug um, aus einem warmen Aufwind wurde ein kalter Abwind, der einen erdwärts schleuderte, und alles, was man tun konnte, war, irgendwie die Flügel ausgebreitet zu halten und zu beten, dass man auch diesmal wieder hinauskam.
    Der Autarch rief dem Offizier der Leopardengarden zu: »Habt Ihr sie hergebracht, wie ich befohlen habe? Sind sie hier?«
    Der Mann verbeugte sich; sein rasierter Schädel glänzte von Öl. »Sie warten draußen, o Goldener.«
    »Gut, dann holt sie jetzt rein.«
    Zwei Leoparden gingen hinaus. Die übrigen gaben sich alle Mühe, die Augen stur geradeaus zu halten, waren aber sichtlich neugierig, was eine solche Gefahr darstellte, dass so viele Garden gleichzeitig im Raum sein mussten. Kurz darauf wurden drei kräftige Frauen ins Heiligtum geführt. Sie waren dem Äußeren nach allesamt Xixierinnen und allesamt so groß und stämmig wie die meisten Leoparden, und sie hatten allesamt kalte Augen und verdrossene Mienen. Die Gesichter der Garden zeigten Verblüffung. Manche fragten sich zweifellos, ob der Autarch im Begriff war, einen seiner seltsamen Scherze zu machen.
    Sulepis winkte mit den langen, goldgeschützten Fingern, und der Wüstenpriester A'lat trat mit einem elfenbeingeschnitzten Kästchen vor. Auf ein Nicken von Sulepis hin ging der Priester, obwohl er wie ein Blinder wirkte, zielsicher zu jeder der drei Frauen und gab ihr etwas aus dem Kästchen. Als der Priester an die Seite des Autarchen zurückkehrte, sah Vash, dass jede der drei Frauen jetzt etwas in der Hand hielt, das wie ein trübes Stück Kristall von der Größe einer Honigsüßigkeit aussah.
    »Du bist Khobana die Wölfin, richtig?«, fragte der Autarch die größte der Frauen, deren Haar kürzer geschnitten war als das der meisten Männer. »Die, die wegen Mordes an ihrem Mann und ihrer übrigen Familie zum Tode verurteilt wurde?«
    Ihre Lippen verzogen sich zu einer Art hämischem Grinsen. »Ja, o Goldener.«
    »Ich erinnere mich. Mit bloßen Händen, richtig?« Er nickte wohlgefällig. »Nun denn, jede von euch dreien hält jetzt eine mächtige Gabe in Händen — etwas, das euch Kampfeskräfte verleihen wird, die so schrecklich sind wie die der Götter selbst, wie die des Mondgottes Xosh, der den Kriegsgott Ohkuz erschlug. Und wenn ihr überlebt und es zurückbringt ... wird es euch die Freiheit erkaufen.«
    Die Frauen starrten ihn an, so misstrauisch wie wilde Tiere. Vash wusste nicht genau, was da vor sich ging, konnte aber

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