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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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dahinterliegenden Gänge zu gelangen.
    Barricks Kräfte kehrten jetzt endlich zurück. Er spannte seine Fesseln, so weit er konnte; nach wenigen schmerzhaften Augenblicken rissen die Stricke. Die Feuerblumenahnen, nach dem Erscheinen des Trickstergottes noch immer unter Schock, waren kaum mehr als ein diffuser Lärm in seinem Kopf. Er fand sein Schwert, wo einer der panischen Wächter es hatte fallen lassen, und schnitt damit Ferras Vansens Fesseln durch. Dann tat er dasselbe bei dem reglosen, schwarzhaarigen Mädchen.
    Vansen stand wacklig auf. Das Mädchen nicht.
    »Qinnitan.« Barrick kniete sich neben sie und beugte sich so dicht an ihr Ohr, dass er den feinen Salzgeruch ihrer Haut roch. »Hörst du mich? Qinnitan, verlass mich nicht!« Doch es war sinnlos: Wenn sie noch atmete, konnte er es nicht feststellen. Der sich in die Welt zurückzwängende Gott hatte schon in Barricks Denken gebrannt wie glühende Holzkohle — wie viel schlimmer musste es für sie gewesen sein, die sie eigens als Gefäß für diesen Gott präpariert worden war? Er blinzelte, vermochte den Anblick ihrer leblosen Züge nicht länger zu ertragen. So grausam konnte das Schicksal doch nicht sein — oder?
    Natürlich konnte es. Es war immer schon grausam gewesen.
    Er wandte sich der Gestalt zu, die neben Qinnitan lag. Der Bart seines Vaters war grauer, als er ihn in Erinnerung hatte, aber ansonsten war es das Gesicht, das er so gut kannte, das er fast zu gleichen Teilen geliebt und gehasst hatte. Auch Olin schien tot, aber Barrick konnte noch einen winzigen Puls unterhalb des Ohrs tasten. War da noch etwas von ihm in diesem Beinahe-Leichnam, oder hatte der Gott alles weggebrannt, während er ihn bewohnt hatte? War da überhaupt noch irgendetwas außer nahezu leblosem Fleisch?
    Ein mächtiges Platschen riss ihn aus seinen wirren Gedanken. Der monströse schöne Jüngling war in das silberne Meer gewatet, um eine Handvoll xixischer Soldaten herauszufischen, die sich schwimmend hatten retten wollen. Der Gott hielt die winzigen, zappelnden Gestalten dicht vor sein leuchtendes Gesicht.
    »MÖGT IHR DEN GESCHMACK GÖTTLICHEN BLUTES?«, donnerte Zosim. »STERBLICHEN STEIGT ES LEICHT ZU KOPF. HOFFT IHR, DASS ES EUCH VERÄNDERT? LASST MAL SEHEN!«
    Noch während er das sagte, veränderte sich das Schreien der panischen Xixier: Sie streckten sich und verloren ihre menschliche Form. Silberne Stacheln wuchsen in ihnen wie Dornen, bohrten sich durch ihr Fleisch. Die Augen quollen ihnen hervor, und sie schlugen um sich, konnten aber dem, was bereits in ihnen war, nicht entkommen. Silberne Ranken schoben sich aus ihnen hervor, hoben sie empor, bis sie an Dornen aus ihrem eigenen verfestigten Blut hingen wie die Vorräte eines Neuntöters.
    Vansen starrte so hilflos auf die sterbenden Xixier, als wollte er sich nie wieder bewegen.
    »Ihr müsst Qinnitan und meinen Vater von hier wegbringen«, sagte Barrick. »Nehmt das Boot und lasst euch hinübertreiben. Liegt still. Hofft, dass Euch der Gott nicht sieht.«
    Jetzt wandte ihm Vansen das bleiche Gesicht zu; in seinen Augen standen immer noch die Schrecken, die er gesehen hatte. »Was wollt Ihr tun, Prinz Barrick?«
    »Was immer ich muss.« Er musste über die Idiotie seiner eigenen Worte lachen — was konnte er schon gegen einen Gott tun? »Nehmt zuerst das Mädchen mit — ich passe auf meinen Vater auf. Los. Beeilt Euch.«
    Als Vansen mit Qinnitans leblosem Körper davonwankte, fiel ein riesiger Schatten über Barrick. Er fuhr herum und riss sein Schwert hoch, aber es war nur der Gott, der wieder auf die Insel zurückkam. Der Trickster näherte sich dem Autarchen und den verbliebenen Leoparden, die gerade das improvisierte Lager an der Stelle der Insel erreicht hatten, wo sie aus dem unterirdischen Gang herausgekommen waren.
    »Die Kanone, verflucht!«, brüllte Sulepis seine Männer an. »Tötet das Ding!«
    »O JA, ZEIG MIR, WAS DIE MENSCHEN GELERNT HABEN, WÄHREND ICH SCHLIEF!«, rief der Gott und lachte wieder. »KRUMMLING DER HANDFERTIGE SCHEINT EUCH KREATUREN WOHL UNTERRICHTET ZU HABEN!«
    Die Männer des Autarchen bemühten sich zwar, Sulepis' Befehl nachzukommen, aber ihre Kanone war nun mal nicht dafür gemacht, so hoch in die Luft zu schießen. Selbst ganz emporgerichtet, zielte sie nur auf das Knie des Gottes. Zosim war jetzt größer als die berühmten Drei-Brüder-Statuen im gewaltigen Trigonatstempel von Syan. Die Kanone krachte, doch weil der Gott sich bewegte, zischte die Kugel an ihm

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