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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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aus großer Höhe herab oder schlägt mit etwas Hartem und Schwerem darauf. Aber wenn es einmal zerbrochen ist, wird der Fiebersamen freigesetzt und verbreitet sich wie Rauch. Alles, worauf er trifft, wird sterben.«
    »Selbst ein Gott?« Yasammez betrachtete den Gegenstand mit Interesse und leisem Abscheu.
    Wieder die summenden Worte; diejenigen, die überhaupt eine Haut hatten, spürten, wie sie Gänsehaut bekamen.
    »Jede irdische Gestalt, in die sich ein Gott kleidet, wird sterben — nichts, was atmet oder Wurzeln schlägt, vermag weiterzuleben, wenn dieses Fieber es versengt.«
    »Aber was wird es aufhalten?«, wollte Grünhähers Sohn Laufvogel wissen. »Werden wir alles töten, was unter der Sonne und dem Mond herumläuft? Damit setzt sich das Volk ein erbärmliches Grabmal.«
    »Es kommt von selbst zum Erliegen, wie die Wellenringe in einem Teich«, beschied ihn Kessel des Schattens, Ärger in der Stimme. »Wie Fürstin Yasammez wünscht, wird es nicht weit über die Grenzen dieser Sterblichenlande hinausgreifen, ehe seine Macht erlischt.« Ihr Flackern wurde stärker. »Auch wenn viele glauben, dass kein Sonnländer es verdient davonzukommen ...«
    »Danke, meine Tochter«, sagte Stein der Unwilligen. »Habt Ihr gehört, was Ihr hören wolltet, Fürstin Yasammez?«
    »Sie kann gehen.«
    Nur einen Augenblick später befanden sich Kessel des Schattens und das Ei nicht mehr in der Höhle. Es war die Eremitin Aesi'uah, die das Schweigen brach. »Ist es wirklich so weit gekommen, Herrin? Zu solcher Verzweiflung? Dass wir nicht nur unser eigenes Leben und das von Abertausenden Sterblichen auslöschen, sondern auch das aller Tiere und Pflanzen, womit dieser Ort auf Jahre hinaus eine Wüste des Todes wird?«
    »Ein geringer Preis für ihren Verrat!«, sagte jemand vom Stamm der Wandelbaren. »Wir sind uns diese Rache schuldig, Traumlose! Wie Kessel des Schattens gesagt hat — es ist ein Jammer, dass wir nicht mehr von ihnen töten können.«
    Yasammez gebot ihm mit einer unwirschen Handbewegung Schweigen. »Wir tun nichts einfach nur aus Rache, so verdient sie auch sein mag. Aber wisst, dass ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um sicherzustellen, dass die Götter und ihr Zugangstor nicht unter die Kontrolle der Sterblichen geraten.«
    »Stellt Ihr nicht Eure Weisheit über die des Gottes?«, protestierte Aesi'uah. »Warum soll Krummling nicht selbst entscheiden, was das Richtige ist?«
    »Weil der Gott im Sterben liegt«, sagte Yasammez kalt. Es gefiel ihr nicht, von ihrer eigenen Eremitin infrage gestellt zu werden, so lange und ehrenhaft die Halb-Traumlose ihr auch gedient haben mochte. »Er ist kaum noch da — natürlich sind da seine Gedanken seit geraumer Zeit seltsam. Er ist womöglich in Alpträumen gefangen und nicht länger in der Lage, uns zu verstehen. Nein, wir können nicht darauf zählen, dass der Gott ... mein Vater ... für uns Entscheidungen trifft. Das Volk muss seinen Weg selbst wählen.«
    »Aber ...« Aesi'uah rang um Worte: Ihre Gedanken waren offensichtlich kompliziert. »Sie dauern mich, Herrin.«
    »Wer?«
    »Unsere Verbündeten, die Sterblichen — die Sonnländer. Ich finde es jetzt schwieriger, sie zu hassen. Sie sind ... anders, als ich erwartet habe.«
    »Meint Ihr?«, fragte Yasammez mit gehöriger Verachtung. »Sie sind genau so, wie ich erwartet habe. Haargenau so.«

    Das Boot mit Hendon Tolly, Matty Kettelsmit und zwei Wachen des Reichshüters legte zuerst am M'Helansfels an. Während Hendon Tolly und Kettelsmit vorsichtig die alte Anlegertreppe hinaufstiegen, machte das zweite Boot mit den restlichen vier Wachen fest, und die Insassen stiegen aus. Auf den Stufen blieb Kettelsmit einen Moment stehen und blickte, von Furcht und Staunen erfüllt, zum Midlanfels und den Lichtern der Burg hinüber.
    Es war offensichtlich, warum Tolly diesen Ort gewählt hatte: Er war vom Festland aus erreichbar, aber sowohl von der Küste als auch von der Burg so weit entfernt, dass ein Beobachter selbst bei Tageslicht kaum erkennen konnte, wer da anlegte. Und der Fels selbst war so zerklüftet und mit Höhlen und Buchten übersät, dass hier wohl drei, vier Schiffe hätten landen können, ohne sich jemals zu sehen.
    Das Sommerhaus auf dem Hügel roch muffig, als sie die großen Türen öffneten, was auch kein Wunder war: Hendon Tolly sagte, seit er an der Macht sei, habe es niemand mehr benutzt. Tolly beschwerte sich über die primitive Ausstattung und über die Tatsache, dass er in der

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