Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
sein Bestes, einen ruhigen Ton beizubehalten, aber es gelang ihm nicht ganz; er war sichtlich nicht die Sorte Mann, die sich oft auf diese Art zügelte. »Aber wir haben sie noch kein einziges Mal unter Beschuss genommen. Bitte, Herr, warum schlagen wir nicht zurück? Wir haben monatelang gegen die Zwielichtler gekämpft und sie ein Dutzend Mal zurückgeworfen. Und nachdem wir diese Dämonen in den Rückzug getrieben haben — warum stehen wir jetzt vor den Xixiern, die doch nichts als normale Sterbliche sind, wie verschämte Jungfrauen?«
    Hendon Tolly funkelte ihn wütend an. Er war an dem ganzen Drum und Dran des täglichen Regierungsgeschäfts nicht sonderlich interessiert — das war Kettelsmit schon in der kurzen Zeit ihrer näheren Bekanntschaft aufgefallen. »Es sind Pläne in Vorbereitung, diese Burg und diese Stadt zu schützen, Hud«, knurrte er, »und Ihr erfahrt, was Ihr wissen müsst, wenn Ihr es wissen müsst.« Mit diesen barschen Worten entließ er sie, obwohl Berkan Hud und die anderen keineswegs befriedigt schienen.
    Als die Soldaten hinausgingen, schlüpfte Burgvogt Tirnan Fretup, der einst Arvin Brones Sekretär gewesen war, in die Bibliothek. »Es ist da, Herr«, sagte er und reichte Tolly ein Pergament mit einem Siegel, das Kettelsmit noch nie gesehen hatte. Während sein Herr den Brief las, musterte Fretup Kettelsmit mit unverhohlener Abneigung. Keiner aus dem engsten Kreis verstand, warum Tolly Matthias Kettelsmit die ganze Zeit um sich haben wollte, aber das war nicht weiter erstaunlich, da ja nicht mal Kettelsmit selbst es wirklich wusste.
    »Ich habe mich schon gefragt, wann wir von ihnen hören würden«, sagte der Reichshüter, als er fertiggelesen hatte. Er verlangte Papier und Tinte. »Du bist der Dichter«, sagte er zu Kettelsmit. »Schreib meine Antwort auf, und zwar in Schönschrift.«
    Und er diktierte eine Nachricht, die so voller sonderbarer, nahezu sinnloser Sätze war, dass Kettelsmit nur ratlos zuhören und den Wortlaut so korrekt wie möglich niederschreiben konnte. Dennoch, ein paar Sachen waren klar: Dieses erstaunliche Schreiben war ein Brief an den Autarchen von Xis und enthielt die Zusage, dass Tolly sich am Abend kurz nach Einbruch der Dunkelheit mit dem Südländerkönig treffen würde. Dann benannte es den Ort.
    »M'Helansfels?«, fragte Kettelsmit überrascht. »Die Insel draußen in der Bucht?«
    »Ja, du unerträglicher Narr«, sagte Tolly. »Stellst du etwa meine Wahl in Frage?«
    »Nein, Herr! Ich wollte nur sichergehen, dass ich den Namen richtig mitbekommen habe.«
    Wie ein Kind, das Texte in seiner schönsten Schrift abschreibt, um Prügel zu vermeiden, versuchte Matty Kettelsmit, die Buchstaben so sauber und hübsch wie möglich aneinanderzureihen. Als ob dieses Monster von Xis meine Schreibkünste bemerken würde?, verspottete er sich selbst. ›O nein, diesen da werden wir nicht töten, wenn wir Südmark erobern — er kann viel zu schön schreiben!‹ Tolly hat recht — ich bin ein Narr. Es war aber immerhin auf schreckliche Art interessant: Wer hätte vor etwas mehr als einem Jahr gedacht, dass er, Matty Kettelsmit, heute hier sitzen und für den Herrscher von ganz Südmark eine Botschaft an einen echten Gottkönig niederschreiben würde ... was auch immer ein Gottkönig sein mochte ...
    »Gut.« Tolly las das Schreiben durch, setzte seine krakelige Unterschrift darunter und versiegelte dann den Brief mit Wachs und seinem Siegelring. »Schickt das sofort los«, wies er Tirnan Fretup an. »Und falls sich irgendjemand daran zu schaffen machen sollte, werde ich dafür sorgen, dass er an seinen eigenen abgehackten Fingern erstickt.«
    Der Vogt eilte davon und hielt dabei den Brief so weit von sich, als wäre er eine tödliche Schlange.
    »Jetzt beginnt also das Endspiel«, sagte Tolly, wieder an Kettelsmit gewandt. »Unser Leben und unser Schicksal liegen in unserer eigenen Hand, Dichter. Wer könnte mehr begehren? Wenn wir Erfolg haben, gewinnen wir alles. Wenn nicht — nun, dann wird die Geschichte unsere Namen vergessen und zukünftige Generationen werden unsere Gräber nicht finden.« Er grinste und seine Augen hatten immer noch das spröde Glänzen von gesprungenem Glas. »Großartig, nicht wahr?«
    Kettelsmit verneigte sich lediglich und sagte: »Herr.« Tollys Tirade schien keine bestimmte Antwort zu verlangen, und er war zu verängstigt, um sich eine auszudenken.

    Nicht alle Qar, die sich in der kleinen Höhle neben Silbersands Tanzhalle versammelt

Weitere Kostenlose Bücher