Das Höllenschiff: Historischer Kriminalroman
über die alte Steinbrücke ratterte, hatte Hawkwood gesehen, wie der Mond sich im Wasser spiegelte.
Nur selten sah man eine menschliche Behausung. Ab und zu schien ein Licht durch die Bäume, ein Anzeichen für eine abgelegene Farm oder ein Cottage. Sie waren keinen anderen Reisenden begegnet. Hawkwood, Lasseur und der Totengräber hätten gut die einzigen Menschen sein können, die unterwegs waren.
»Ihr Freund hat aber nicht viel zu sagen«, murmelte der Totengräber.
»Es war ein langer Tag«, erwiderte Hawkwood. »Vielleicht ist er müde.«
Doch der Totengräber hatte Recht. Seit sie die Farm verlassen hatten, war Lasseur auffallend still gewesen. Vermutlich dachte er an Jess Flynn.
Es war ganz gut, dass wir abgereist sind , dachte Hawkwood im Stillen. Es war sonnenklar, dass Lasseurs Gefühle für diese Frau weiter gingen als reines Mitgefühl wegen ihres toten Mannes und ihrer Einsamkeit. Und beim Abschied hatte es sich gezeigt, dass das Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte. Andererseits war es auch möglich, dass die Geste der Frau beim Abschied weniger ein Zeichen tiefer Gefühle war als mehr ein Ausdruck von Dankbarkeit, weil er ihr bei dem Überfall beigestanden hatte. Doch Hawkwoods Bauchgefühl sagte ihm, dass das nicht der Fall war. Und er war sich darüber im Klaren, dass hier ein Problem lag. Das Mitgefühl, das der Privateer Schwachen gegenüber hatte, war zwar bewundernswert, doch es war sie bereits teuer zu stehen gekommen und hätte um ein Haar ihre Fluchtpläne samt Hawkwoods Auftrag zunichtegemacht. Das Letzte, was Hawkwood brauchen konnte, war, dass Lasseur nicht mehr objektiv genug war, zudem wegen einer Frau, mit der es für ihn ohnehin keine Zukunft geben konnte. Früher oder später musste der Franzose einsehen, dass er nicht alle verlorenen und unglücklichen Seelen retten konnte, wie gern er es auch getan hätte.
Vor ihnen stieg das Gelände an. Sie fuhren nicht mehr durch Senken und Hohlwege, sondern waren jetzt auf einem breiteren Weg, der zu beiden Seiten von dichtem Buschwerk gesäumt war. Die Nacht war voll unheimlicher Geräusche: Eulen schrien, Frösche quakten, und überall raschelten Tiere, die jetzt auf der Jagd waren. Irgendwo im tiefen Wald hörte man einen Fuchs bellen; das Heulen schwoll an und ebbte ab und klang durch die Nacht wie die Schreie einer gequälten Seele. Obwohl er dieses Geräusch kannte, sträubten sich bei Hawkwood die Nackenhaare.
Dann hörte das Gejaule auf.
Plötzlich schien die Nacht unnatürlich still. Asa Higgs trieb das Pferd an und sah sich argwöhnisch um.
Hawkwood fühlte sich angespannt. Rechts von ihnen hatte sich etwas bewegt; eine kaum erkennbare, dunkle Gestalt, die er gerade noch aus dem Augenwinkel wahrgenommen hatte, die durch die Bäume gehuscht war, kurz vom Mondlicht beleuchtet … irgendetwas, doch er wusste nicht, was.
Er merkte, dass sich auch Lasseur neben ihm bewegt hatte und war beruhigt. Trotz seiner Grübelei war der Privateer so wachsam wie immer.
Dennoch war keiner von ihnen auf das wilde, kreischende und Nerven zerfetzende Gelächter vorbereitet, das plötzlich aus dem Wald kam, noch auf die grauenhafte Erscheinung, die ihnen den Weg verstellte.
Der erschrockene Totengräber riss an den Zügeln und der Wagen rutschte zur Seite.
Es waren zwei, sie sahen identisch aus. Sie waren als Mönche verkleidet, in schwarze Kutten mit Kapuzen. Aber was am schlimmsten war und einem das Herz stillstehen ließ, waren weniger ihre Kutten, die zerrissen und verdreckt waren, noch die Pistolen, mit denen sie herumfuchtelten, sondern es war das, was aus den Kapuzen heraussah. Denn wo man Gesichter erwartet hätte, sah man bei den schwarz gekleideten Mönchen Totenköpfe, die wie glühende Kohlen in der Dunkelheit leuchteten.
15
Hawkwood rümpfte die Nase. Pisse, man konnte den Geruch nicht mit etwas anderem verwechseln. Er war da und beleidigte mit jedem Atemzug seine Nase. Da das Atmen unvermeidlich war, konnte er nicht viel mehr tun, als den Geruch so weit wie möglich zu ignorieren. Das war schwierig, denn er kam von dem Mann, der neben ihm saß. Es war merkwürdig, dachte Hawkwood, denn ehe er den Gestank des Hulk von sich selbst abgewaschen hatte, hätte er es wahrscheinlich kaum gemerkt. Jetzt musste er alle Willenskraft aufbringen, um sich nicht die Nase zuzuhalten.
Die schwarzgekleidete Gestalt merkte, dass Hawkwood angewidert war, und sah ihn an. »Das bin ich nicht. Es ist die verdammte Farbe. Und wenn Sie denken, ich
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