Das Höllenschiff: Historischer Kriminalroman
Ähnlichkeit mit einem Totenschädel.
»Wenn Sie soweit sind, Dupin!«, sagte Matisse. Er sah Hawkwood an. »Ich muss mich entschuldigen, Captain, aber wir sind mit Pistolen und Degen etwas knapp dran. Wir mussten uns selbst helfen, wie Sie gleich sehen werden.«
Lasseur runzelte die Stirn.
Hawkwood sah auf die flach geklopften Fassreifen der Männer. Ein unbehagliches Gefühl ergriff ihn.
Dupin trat in den Ring.
»Auffangen«, sagte er.
Hawkwood hatte kaum Zeit zu reagieren. Erst beim Auffangen sah er, was es war. Es sah aus wie einer der Stöcke, die neulich beim Fechtunterricht benutzt worden waren, jedoch mit einem Zusatz: das Ende des Stocks war durch ein offenes Rasiermesser verlängert, das mit Schnur dort befestigt war.
»Was soll das denn sein?«, wollte Lasseur wissen.
Matisse legte den Kopf schräg. Die Brillengläser wirkten in seinem Gesicht wie schwarze Löcher. »Was hatten Sie sich denn unter einem ›Gottesurteil‹ vorgestellt, Captain? Einen Boxkampf?«
»Das britische Gesetz verbietet Duelle«, sagte Hawkwood. »Selbst auf Gefängnisschiffen.«
»Das britische Gesetz spielt hier keine Rolle, Captain. Wir haben unsere eigenen Gesetze – Matisses Gesetze.«
Hawkwood sah seine Waffe an. Sie war bemerkenswert leicht und fast so biegsam wie ein Florett. Die sechs Zoll lange Klinge blitzte im Laternenschein.
Matisse grinste. »Etwas primitiv vielleicht, aber in den richtigen Händen kann es sehr wirksam sein. Die Idee ist von Korporal Sarazin dort drüben. Als er auf Cabrera gefangen war, wurden dort Auseinandersetzungen damit entschieden.«
Hawkwood erkannte den Namen. Cabrera war eine winzige Insel, zehn Meilen südlich von Mallorca. Nach allem, was er darüber gehört hatte, schien die Rapacious ein Paradies zu sein. Nach dem Sieg über die Franzosen bei Baylen war es notorisch geworden, als der Comte de l’Etang sein gesamtes Corps von achtzehntausend Mann den Spaniern ausgeliefert hatte. Die höheren Offiziere waren in ihre Heimat abgeschoben worden. Die anderen wurden erst auf die Gefängnisschiffe vor Cadiz gebracht, später auf die Insel. Einige wurden später nach England verlegt. Hawkwood kam der Gedanke, dass die Gefangenen, die die Besatzung der Vengeance im Hafen von Portsmouth im Boot ausgesetzt hatte, vielleicht zu ihnen gehörten.
»Sarazin war auch eine Zeit lang in Millbay. Dort nahm man Zirkelspitzen statt Klingen, aber die fanden wir nicht so wirksam. Davon gibt’s auch nicht viele. Das liegt vermutlich am Geometrie- und Navigationsunterricht, den Ihr Freund Fouchet erteilt.« Der Korse kicherte leise.
Hawkwood starrte erst die Klinge an, dann Matisse. »Und wenn ich nicht kämpfen will?«, fragte er.
»Dann haben Sie Ihren Einsatz verspielt. Der Junge bleibt bei uns. Sein Schicksal liegt in Ihrer Hand, Captain.«
»Und wenn ich gewinne, geben Sie den Jungen dann her?«
»Ich habe es ja gesagt: Wenn das der Fall ist, lasse ich den Jungen frei. Sie haben mein Wort.«
»Wie sind die Regeln?«
»Es gibt keine Regeln«, sagte Matisse.
Einige der Männer lachten.
Lasseur zog die Brauen zusammen. »Wodurch wird der Kampf dann entschieden? Dass einer von beiden blutet?«
»Nein, dass einer von beiden aufhört zu atmen.«
Im Lagerraum wurde es still. Nur das Ächzen der Balken war zu hören.
Aus Lasseurs Gesicht war alles Blut gewichen. »Das ist doch Wahnsinn!«
»Überhaupt nicht, das ist unsere Art, hier für Ordnung zu sorgen. Ordnung muss sein. Das sehen Sie doch ein, nicht wahr? Sie sind Soldaten. Sie verstehen, dass Disziplin notwendig ist. Ohne Disziplin wäre hier das Chaos. Das geht nicht, es würde ja alles in Unordnung bringen.«
»Nein!«, sagte Lasseur. »Das können Sie nicht machen!« Er warf Hawkwood einen verzweifelten Blick zu.
»Oh, doch, das kann ich. Hier unten kann ich alles machen, was ich will.«
Er sah Hawkwood an. Es war eine offene Herausforderung.
In Hawkwoods Kopf meldete sich eine kleine Stimme. Jetzt kannst du noch weg!
»Dann gehen Sie wenigstens mit dem Jungen nach draußen«, sagte Hawkwood. »Das braucht er doch nicht zu sehen.«
Matisse schüttelte den Kopf. »Im Gegenteil, ich denke, es wird ihm sehr guttun. Seine erste Bluttat. Es wird einen Mann aus ihm machen. Wenn Kemel Bey seine Aufgabe erfolgreich löst, dann könnte das auch zum ersten Mal ganz andere Freuden für ihn bedeuten.« Matisse lachte leise in sich hinein und drückte die Schultern des Jungen. »Wie steht’s mit Ihrem Latein, Captain? Sie scheinen ein
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