Das Horror-Telefon
Nebel, der sie umwallte und ihr das Liebste auf der Welt genommen hatte.
Yvette Taylor verließ die Küche, sie schaute dabei zu Boden. Ihr Weg führte sie in das weiß und lindgrün geflieste Bad, wo sie vor dem Waschbecken stehenblieb, Papier aus der Box zog und sich die Nase putzte.
Danach hob sie langsam den Kopf und schaute in den Spiegel hinein. An dieses Bild hatte sie sich längst gewöhnt. Yvette erschrak nicht mehr über den eigenen Anblick, die von Weinen dick gewordenen Augen, die zitternden Lippen und die gerötete Haut. Sie hatte ein schmales Gesicht, lange dunkelblonde Haare, die sie oft genug zu einem Bauernzopf zusammendrehte, damit sie ihr nicht im Wege waren. Normalerweise trug sie auch eine Brille, doch hin und wieder verließ sie sich auf Kontaktlinsen. In der letzten Zeit hatte sie darauf verzichtet, weil sie einfach zu oft hatte weinen müssen, was diesen hauchdünnen Plättchen vor ihren Pupillen auf keinen Fall gut tat.
Einige Wochen waren seit dem Unfall vergangen. Yvette dachte daran, als sie mit einer müden Bewegung das flauschige Handtuch von der Stange hob.
Vielleicht heilte die Zeit irgendwann einmal die tiefe Wunde, die der Tod ihres Verlobten gerissen hatte, aber wenn das Leben so weiterging, würde sie immer wieder aufgerissen werden.
Einen konkreten Beweis dafür hatte sie nicht. Es hing aber mit den seltsamen und unregelmäßig stattfindenden Anrufen zusammen, die sie in letzter Zeit erreicht hatten.
Nicht jeder Anruf war so unnormal gewesen. Oft telefonierten Freunde und Verwandte mit ihr, um ihr Trost zu spenden, zwischendurch aber waren diese Anrufe erfolgt, wo sich niemand gemeldet hatte.
Und trotzdem war jemand bemüht gewesen, mit ihr Verbindung aufzunehmen. Ungewöhnlich, seltsam und unheimlich, weil sie immer das Gefühl dabei überkommen hatte, daß es eine Person gewesen war, die sie gut, sogar sehr gut kannte…
Ihn… ihren Verlobten…
Das war natürlich Unsinn, der reinste Quatsch. Tom Wade war tot, er blieb tot, doch ihr Gefühl blieb ebenfalls. Sie konnte sich nicht helfen, es war einfach da und verdichtete sich zu einem Wissen.
Aus einem nicht erklärbaren Reich oder einer weit entfernten Ebene versuchte ein Wesen, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Und bei diesem Wesen handelte es sich um Tom. Das jedenfalls sagte ihr das Gefühl, ohne daß sie einen Beweis bekommen hätte.
Sie war nach jedem Anruf erschreckt gewesen. Das rationale Denken war ihr schwergefallen, sie hatte auch mit keinem Menschen über dieses Problem gesprochen, aber Yvette Taylor arbeitete als Redakteurin in einem Zeitschriftenverlag, in dem auch Illustrierte erschienen, die zur Yellow Press zählten.
Yvette Taylor erinnerte sich daran, in diesen Blättern Berichte gelesen zu haben, die sich mit dem Thema Stimmen aus dem Jenseits befaßten.
Anrufe von Toten über Telefon oder Radio. Kontaktaufnahme der Geistwesen, unheimliches Channeling, das Dasein nach dem Tod, das Erreichen der verschiedenen Ebenen und Bewußtseinsstufen, all das hatte sie gelesen und damals darüber gelächelt.
Heute nicht mehr.
Jetzt sah sie die Dinge aus einem anderen Blickwinkel und auch mit anderen Augen. Nach den unerklärlichen Anrufen, bei denen sie trotzdem das Gefühl gehabt hatte, jemand wäre am anderen Ende der Leitung, dachte sie immer stärker an ihren Verlobten.
Wollte er… wollte sein Geist oder das, was es noch von ihm gab – vielleicht eine Insel der Energie – Kontakt mit ihr aufnehmen? Es wäre der reine Wahnsinn gewesen. Es wäre aber auch… nein, sie wollte den Ausdruck wunderbar nicht dafür einsetzen. Sie hätte furchtbare Angst bekommen, würde sie sich in ihrer Annahme bestätigt sehen. Das nur nicht, das auf keinen Fall, obwohl sie mit ihrem Verlobten in einer unwahrscheinlich engen Beziehung gestanden hatte.
Wenn sie ehrlich war, fürchtete sie sich davor.
Heute war wieder ein derartiger Anruf gekommen. Am frühen Abend, wo derjenige genau wußte, daß sie nicht mehr in der Firma war. Was wollte er von ihr?
Zudem hatte sie an diesem Tag zum erstenmal den Eindruck gehabt, daß dieser Anrufer unermeßlich weit von ihr entfernt gewesen und gleichzeitig – paradoxerweise – sehr nahe gewesen war. Als hätte er die Gesetze der Physik aufgehoben und sich einen feuchten Kehrricht um Dimensionen gekümmert.
Wer nicht mehr als Mensch lebte, dreidimensional war und aus Fleisch und Blut bestand, für den existierten diese von der Natur gesetzten Grenzen auch nicht.
In den vergangenen
Weitere Kostenlose Bücher