Das Hotel New Hampshire
Kuriosität sich selbst überlassen wollten, hielt Freud das Motorrad an, stieg bei laufendem Motor ab und trat an den Beiwagen, wo er den Bären mit einem deutschen Wortschwall piesackte. Das fanden die Zuhörer dann komisch, vor allem, weil es komisch war, wenn jemand deutsch redete, aber Freud ließ nicht locker, bis der Bär langsam aus dem Beiwagen kletterte und auf das Motorrad stieg, um den Platz des Fahrers einzunehmen; er legte seine schweren Pfoten auf die Lenkstange, doch seine kurzen Hinterbeine reichten nicht bis zu den Fußrasten oder den Hebeln für die Hinterradbremse. Freud stieg in den Beiwagen und befahl dem Bären loszufahren.
Nichts passierte. Freud saß im Beiwagen und zeterte, weil sie nicht vom Fleck kamen; der Bär hielt sich wild entschlossen an der Lenkstange fest, wippte auf dem Sattel und strampelte mit den Beinen, als gelte es, Wasser zu treten.
»State o' Maine!« rief dann mal einer aus der Menge. Und der Bär nickte, mit einer Art verlegener Würde, und blieb, wo er war.
Mit deutschen Flüchen, die die Leute so gerne hörten, stieg Freud aus dem Beiwagen und versuchte, dem Bären zu zeigen, wie man ein Motorrad in Gang setzt.
»Kupplung!« sagte Freud und hielt die große Bärenpfote über den Kupplungshebel. »Gas!« schrie er und brachte mit der anderen Pfote den Motor auf Touren. Freuds 1937er Indian hatte den Schalthebel neben dem Benzintank, so daß der Fahrer einen beängstigenden Augenblick lang die Hand vom Lenker nehmen mußte, um einen Gang einzulegen oder in einen anderen Gang zu schalten. »Schalten!« schrie Freud und knallte den ersten Gang rein.
Worauf der Bär auf dem Motorrad über den Rasen rollte, mit wenig Gas und gleichbleibend leise brummendem Motor; er wurde nicht schneller und nicht langsamer, fuhr aber entschlossen auf die geschniegelten, elegant gekleideten Leute zu - die Männer, selbst wenn sie eben noch Sport getrieben hatten, trugen Hüte; und auch die männlichen Gäste des Arbuthnot-by-the-Sea trugen zum Schwimmen Badeanzüge, obwohl sich in den dreißiger Jahren die Badehosen für Männer immer mehr durchsetzten. Doch nicht in Maine. Die Jacketts - ob für Damen oder Herren - hatten wattierte Schultern; die Herren trugen weißen Flanell, weit und bauschig; die sportliche Dame trug zweifarbige Halbschuhe mit kurzen Söckchen; die feine Dame legte Wert auf eine natürliche Taille und entschied sich gern für Puffärmel. Es gab ein buntes Durcheinander, als der Bär - verfolgt von Freud - geradewegs auf sie zusteuerte.
»Nein! Nein! Du doofer Bär!«
Und State o' Maine, dessen Miene unter dem Maulkorb den Gästen verborgen blieb, fuhr weiter, ohne die Richtung wesentlich zu ändern - eine ungeschlachte Gestalt, die da über der Lenkstange hing.
»Du dummes Vieh!« schrie Freud.
Der Bär fuhr davon - immer geradewegs durch ein offenes Zelt, doch ohne eine stützende Stange zu rammen oder an den weißen Leinentüchern hängenzubleiben, die über die Tische und die Bar gebreitet waren. Kellner verfolgten ihn über den kostbaren Rasen. Von den Tennisspielern kamen ermunternde Zurufe, doch wenn dann der Bär in ihre Richtung fuhr, räumten sie das Feld.
Ob der Bär nun wußte, was er tat, oder nicht: jedenfalls landete er nie in einer Hecke, und er fuhr nie zu schnell; es kam nie vor, daß er zum Anlegeplatz hinunterfuhr und versuchte, an Bord einer Yacht oder eines Hummerfängers zu gelangen. Und Freud holte ihn immer ein, wenn es so aussah, als hätten die Gäste genug von dem Schauspiel. Freud setzte sich dann hinter den Bären aufs Motorrad; er drückte sich an den breiten Rücken und steuerte das Tier und die 37er Indian zurück zu der Party.
»Na gut, er hat noch ein paar Mucken!« rief er dann jeweils der Menge zu. »Noch ein paar Haare in der Suppe. Aber das kriegen wir hin. Nichts von Bedeutung. Das begreift er schnell!«
Das also war die Nummer. Sie änderte sich nie. Das war alles, was Freud State o' Maine beigebracht hatte; er behauptete, mehr könne der Bär nicht lernen.
»Er ist kein besonders schlauer Bär«, sagte Freud zu Vater. »Er war schon zu alt, als ich ihn kriegte. Ich dachte, es würde schon noch werden. Er war ganz klein, als sie ihn zähmten. Aber bei den Holzfällern lernte er nichts. Diese Leute haben doch keine Manieren, das sind selber nur Tiere. Sie hielten sich den Bären als Haustier, sie gaben ihm so viel zu fressen, daß er nicht unangenehm wurde, aber sonst ließen sie ihn einfach faulenzen und versacken - wie
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