Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
doofen Bären«, sagte er zu meiner Mutter und meinem Vater, »hat es keinen Sinn, auf einen besseren Schnitt zu hoffen. Und wenn man die billigen Urlaubsorte abgrast, hat man andere Probleme.«
    Meine Mutter griff nach der Hand meines Vaters und drückte sie fest und warnend - vielleicht weil sie sah, daß er sich diese »billigen Urlaubsorte«, diese »anderen Probleme« ausmalte. Doch mein Vater dachte an die Studiengebühren der Harvard University; er mochte die 37er Indian und den Bären namens State o' Maine. Nach allem, was er gesehen hatte, gab sich Freud mit der Abrichtung des Bären nicht die geringste Mühe, und Win Berry war ein Junge, der an sich glaubte; Coach Bobs Sohn war ein junger Mann mit der Vorstellung, was er sich vorstellen könne, das könne er auch erreichen.
    Er hatte ursprünglich den Plan gefaßt, nach dem Sommer im Arbuthnot nach Cambridge zu gehen, ein Zimmer zu mieten und einen Job zu finden - vielleicht in Boston. Er würde sich mit der Gegend um Harvard vertraut machen und irgendwo da Arbeit finden, damit er sich einschreiben konnte, sobald er die Studiengebühren beisammen hatte. Und er konnte dann möglicherweise teilzeitarbeiten und Harvard besuchen. Meiner Mutter hatte dieser Plan natürlich gefallen, denn die Strecke von Boston nach Dairy und zurück ließ sich bequem mit der Boston & Maine bewältigen - die Züge fuhren damals noch regelmäßig. Sie malte sich bereits die Besuche meines Vaters aus, an langen Wochenenden, und wohl auch ihre eigenen - natürlich anständigen - Besuche, die sie gelegentlich bei ihm in Cambridge oder Boston machen würde.
    »Was verstehst du schon von Bären?« fragte sie. »Oder von Motorrädern?«
    Sie hielt auch nichts von Vaters Idee, mit Freud - falls Freud sich nicht von seiner Indian oder seinem Bären trennen wollte - zu den Holzfällercamps zu fahren. Win Berry war ein starker Junge, aber er war nicht vulgär. Und Mutter stellte sich die Camps als vulgäre Orte vor, von denen Vater - wenn überhaupt - als ein anderer Mensch wiederkehren würde.
    Sie hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen. Diesem Sommer lag offenbar ein Plan zugrunde, der unausweichlich und sehr viel umfassender war als irgendwelche banalen Vorbereitungen, die mein Vater und meine Mutter für die Zukunft treffen mochten. Dieser Sommer 1939 verlief so unausweichlich wie der Krieg in Europa, von dem bald die Rede sein würde, und sie alle - Freud, Mary Bates und Winslow Berry - wurden vom Sommer so mühelos dahingetrieben, wie die Möwen, die von den wilden Strömungen in der Mündung des Kennebec bald da, bald dorthin verschlagen wurden.
    Eines Abends Ende August, als Mutter beim Abendessen serviert und gerade genug Zeit gehabt hatte, die zweifarbigen Halbschuhe und den langen Rock anzuziehen, um Krocket zu spielen, wurde Vater aus seinem Zimmer geholt; er sollte bei der Bergung eines Verletzten behilflich sein. Vater lief an dem Krocket-Spielfeld vorbei, wo Mutter auf ihn wartete, einen Krocketschläger über der Schulter. Die Lichterketten, die wie Christbaumschmuck in den Bäumen hingen, beleuchteten den Krocket-Rasen auf eine so gespenstische Weise, daß meine Mutter - für meinen Vater - »aussah wie ein Engel, der einen Knüppel bereithält«.
    »Ich bin gleich wieder da«, sagte Vater zu ihr. »Es hat sich jemand verletzt.«
    Sie ging mit, und zusammen mit einigen anderen Männern rannten sie hinunter zu den Anlegeplätzen. Am Landesteg vibrierte ein großes hell erleuchtetes Schiff. An Bord spielte eine Band mit zu vielen Blechbläsern, und der starke Gestank des Treibstoffs und der Auspuffgase in der salzigen Luft vermischte sich mit dem Geruch zerquetschter Früchte. Wie sich herausstellte, wurde den Gästen auf dem Schiff aus einer Riesenschüssel eine hochprozentige Früchtebowle ausgeschenkt, und sie kippten sie sich über die Kleidung oder schrubbten damit gleich das ganze Deck. Am Ende des Landestegs lag ein Mann auf seiner Seite und blutete aus einer Wunde in der Wange: er war, als er die Leiter heraufkam, gestolpert und hatte sich an einer Klampe das Gesicht aufgerissen.
    Er war ein massiger Mann, dessen Gesichtsfarbe im wäßrig blauen Mondlicht blühend wirkte, und sowie ihn jemand anfaßte, setzte er sich auf. »Scheiße«, sagte er.
    Meinem Vater und meiner Mutter war das deutsche Wort von den vielen Auftritten Freuds vertraut. Unter Mithilfe mehrerer kräftiger junger Männer wurde der Deutsche auf die Beine gestellt. Er hatte eine fantastische

Weitere Kostenlose Bücher