Das Hotel New Hampshire
zum Anlegeplatz und blickten aufs Wasser hinaus. Falls sie überhaupt miteinander redeten, so erzählten sie uns Kindern jedenfalls nie, was. Es muß dort ein paar tolle Segelboote gegeben haben, und in Maine waren selbst an privaten Landestegen immer ein, zwei Hummerfänger festgemacht. Wahrscheinlich lag dort auch ein Beiboot, und mein Vater schlug vor, es für eine kleine Ruderpartie auszuleihen; meine Mutter lehnte das wahrscheinlich ab. Fort Popham war damals eine Ruine, nicht das attraktive Ausflugsziel von heute; sollte es aber dort am Ufer irgendeine Beleuchtung gegeben haben, hätte man sie vom Arbuthnot-by-the-Sea gesehen. Außerdem gab es in der breiten Mündung des Kennebec bei Bay Point eine Glockenboje und ein Leuchtfeuer, und es könnte schon 1939 einen Leuchtturm auf Stage Island gegeben haben - mein Vater konnte sich nie genau erinnern.
Im allgemeinen muß jedoch das Ufer damals im Dunkel gelegen haben, so daß mein Vater und meine Mutter die weiße Schaluppe, die auf sie zugesegelt kam - aus Boston oder New York: jedenfalls aus dem Südwesten, der zivilisierten Welt -, deutlich sehen und ungestört so lange betrachten konnten, bis sie beim Landesteg längsseits kam. Mein Vater fing das Tau auf; er erzählte uns immer, daß er der Panik nahe war, da er nicht wußte, ob er es irgendwo festbinden oder daran ziehen sollte, als der Mann in der weißen Smokingjacke, den schwarzen Hosen und den schwarzen Halbschuhen lässig von Bord ging, die Leiter zum Landesteg erklomm und meinem Vater das Tau abnahm. Mühelos dirigierte der Mann die Schaluppe um das Ende des Stegs herum, bevor er das Tau zurückwarf. »Alles klar!« rief er dann zu dem Boot hinüber. Meine Mutter und mein Vater behaupteten, sie hätten niemanden an Bord gesehen, doch die Schaluppe glitt davon, hinaus aufs Meer - ihre gelben Lichter entschwanden wie versinkendes Glas -, und der Mann in der Smokingjacke wandte sich meinem Vater zu und sagte: »Vielen Dank für die Hilfe. Sind Sie neu hier?«
»Ja, wir sind beide neu«, sagte Vater.
Die makellose Kleidung des Mannes zeigte keine Spuren von der Bootsfahrt. Dafür, daß der Sommer erst begann, war der Mann bereits sehr braun, und er bot meiner Mutter und meinem Vater Zigaretten an aus einem eleganten, flachen schwarzen Etui. Sie rauchten nicht. »Ich hatte gehofft, rechtzeitig zum letzten Tanz zu kommen«, sagte der Mann, »aber die Band hat wohl schon Schluß gemacht?«
»Ja«, sagte meine Mutter. Mit ihren neunzehn Jahren hatten meine Mutter und mein Vater noch nie jemand wie diesen Mann gesehen. »Er hatte ein geradezu obszönes Selbstvertrauen«, erzählte uns meine Mutter.
»Er hatte Geld«, sagte Vater.
»Sind Freud und der Bär angekommen?« fragte der Mann.
»Ja«, sagte Vater. »Und das Motorrad.«
Der Mann in der weißen Smokingjacke rauchte hungrig, doch nicht ohne Eleganz, während er auf das dunkle Hotel blickte. Nur in ganz wenigen Zimmern brannte noch Licht, aber die zur Beleuchtung der Wege, Hecken und Anlegeplätze aufgehängten Lampen erhellten das braune Gesicht des Mannes und machten seine Augen schmal, und sie spiegelten sich in der schwarzen, bewegten See. »Freud ist nämlich Jude«, sagte der Mann. »Nur gut, daß er Europa rechtzeitig den Rücken gekehrt hat. In Europa wird es nicht zum Aushalten sein für Juden. Das weiß ich von meinem Makler.«
Diese ernste Neuigkeit muß tiefen Eindruck auf meinen Vater gemacht haben, der es kaum erwarten konnte, Harvard - und die Welt - zu erobern, und der noch nicht ahnte, daß sich ein Krieg für längere Zeit zwischen ihn und seine Pläne schieben würde. Der Mann in der weißen Smokingjacke veranlaßte meinen Vater, zum zweiten Mal an diesem Abend nach der Hand meiner Mutter zu greifen, und auch diesmal erwiderte sie seinen Händedruck, während sie höflich darauf warteten, daß der Mann seine Zigarette zu Ende rauchte oder Gutenacht sagte oder weiterredete.
Doch er sagte lediglich: »Und die Welt wird nicht zum Aushalten sein für Bären!« Seine Zähne waren so weiß wie seine Smokingjacke, als er lachte, und bei dem Wind hörten mein Vater und meine Mutter das Zischen seiner Zigarette beim Auftreffen auf den Wellen nicht - ebensowenig wie die Schaluppe, die wieder längsseits kam. Plötzlich ging der Mann auf die Leiter zu, und erst als er flink die Sprossen hinabstieg, merkten Mary Bates und Win Berry, daß die weiße Schaluppe unter die Leiter glitt und daß der Mann genau im richtigen Augenblick unten war,
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