Das Hotel New Hampshire
Aufgabe, aber dadurch wirkte sie nur noch besser; als Bär war Susie schon immer vorzüglich, aber so langsam gewinnt sie die Überzeugung, daß sie auch ein liebenswerter Mensch ist.
Und so gaben wir den fremden Besuchern aus Arizona das Traumbild eines Bären mit auf den Weg. Vater winkte ihnen vom Ballsaal aus zum Abschied und sagte hinterher zu mir: »Ein Bär, was? Susie wird sich den Tod holen, oder zumindest eine Lungenentzündung. Und niemand sollte krank sein - niemand sollte auch nur einen Schnupfen haben -, wenn das Baby kommt. Ich kenne mich mit Babys besser aus als du, das ist ja wohl klar. Ein Bär«, wiederholte er kopfschüttelnd, aber ich wußte, daß es die Leute aus Arizona überzeugt hatte; Susie der Bär ist von einer meisterlichen Überzeugungskraft.
Der Bär neben dem Holzstoß, dessen Atem in dem strahlenden, kalten Morgen regelrecht dampfte und dessen Pfoten weiche Abdrücke in dem frischen, unberührten Schnee hinterließen - als sei er der erste Bär auf der Erde, und als sei dies der erste Schnee des Planeten -, das alles hatte sehr überzeugend gewirkt. Wie auch Lilly wußte: alles ist ein Märchen.
Und so träumen wir weiter gegen den Strom. So erfinden wir unser Leben. Wir geben uns eine anbetungswürdige Mutter, wir machen unseren Vater zum Helden. Und jemandes älterer Bruder und jemandes ältere Schwester - auch sie werden zu unseren Helden. Wir erfinden, was wir lieben und was wir fürchten. Es gibt immer einen tapferen, verlorenen Bruder - und auch eine kleine, verlorene Schwester. Wir träumen immer weiter: das beste Hotel, die perfekte Familie, das Leben in der Sommerfrische. Und unsere Träume entschlüpfen uns fast so lebendig, wie wir sie heraufbeschwören können.
Im Hotel New Hampshire sind wir lebenslänglich festgeschraubt - aber was ist schon ein wenig Luft in der Leitung, ja selbst massenhaft Scheiße in den Haaren, wenn man gute Erinnerungen hat?
Ich hoffe, dies ist ein passender Schluß für dich, Mutter - und für dich, Egg. Es ist ein Schluß, Lilly, der sich der Art deines Lieblingsschlusses bewußt ist - jenes Schlusses, den du nie schreiben konntest, dem du nie gewachsen warst. Vielleicht gibt es in dem Schluß nicht genug Hanteln für Iowa-Bob und nicht genug Fatalismus für Frank. Vielleicht steckt nicht genug vom Wesen der Träume in diesem Schluß, um Vater oder Freud zufriedenzustellen. Und nicht genug Geschmeidigkeit für Franny. Und dieser Schluß ist vermutlich nicht häßlich genug für Susie den Bären. Er ist wahrscheinlich nicht groß genug für Junior Jones, und ich weiß, er ist nicht annähernd gewalttätig genug, um einige Freunde und Feinde aus unserer Vergangenheit zufriedenzustellen; er verdient vielleicht nicht mal ein kleines Stöhnen von Kreisch-Annie - wo immer sie heute liegt und kreischt.
Aber das ist es nun mal, was wir tun: wir träumen weiter gegen den Strom, und unsere Träume entschlüpfen uns fast so lebendig, wie wir sie heraufbeschwören können. So läuft das nun mal, ob es uns paßt oder nicht. Und weil es so läuft, brauchen wir etwas ganz Bestimmtes: wir brauchen einen guten, schlauen Bären. Manche Leute haben einen so guten Verstand, daß sie ganz für sich allein leben können - ihr Verstand kann ihr guter, schlauer Bär sein. So ist es bei Frank, glaube ich: Franks Verstand ist ein guter, schlauer Bär. Er ist nicht der Mäusekönig, für den ich ihn anfänglich gehalten habe. Und Franny hat einen guten, schlauen Bären namens Junior Jones. Franny versteht es auch geschickt, Kummer in Schach zu halten. Und mein Vater hat seine Illusionen; sie sind stark genug. Die Illusionen meines Vaters sind sein guter, schlauer Bär, zum Schluß. Und das heißt natürlich, daß nur noch ich übrigbleibe, mit Susie dem Bären - mit ihrem Vergewaltigungs-Notrufzentrum und meinem Märchenhotel - mir geht es also auch ganz gut. Es muß einem ja gutgehen, wenn man ein Baby erwartet.
Coach Bob wußte es von Anfang an: Du mußt besessen werden und besessen bleiben. Und noch was: Bleib immer weg von offenen Fenstern.
Weitere Kostenlose Bücher