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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Sommermonate eingestellt wurden, auf dem unwirklichen Grün des verwöhnten Rasens am Arbuthnot-by-the-Sea einander »vorgestellt« wurden. Selbst die Vorstellung des Personals war dort ein formeller Akt. Ein Mädchen wurde aufgerufen aus einer Reihe anderer Mädchen und Frauen; und aus einer Reihe von Jungen und Männern kam ihr ein ebenfalls namentlich aufgerufener Junge entgegen wie bei einer Aufforderung zum Tanz.
    »Das ist Mary Bates, die soeben ihren Abschluß am Thompson Female Seminary gemacht hat! Sie wird im Hotel und beim Betreuen der Gäste aushelfen. Sie segelt gerne, nicht wahr, Mary?«
    Kellner und Kellnerinnen, die Rasenpfleger und Caddies, die Bootshilfen und das Küchenpersonal, Mädchen für alles, Empfangsdamen, Zimmermädchen, die Leute aus der Wäscherei, ein Klempner und die Mitglieder der Band. Bälle waren sehr beliebt; die Hotels in den weiter südlich gelegenen Badeorten - wie das Weirs in Laconia und Hampton Beach - lockten im Sommer einige der berühmten Bands an. Doch das Arbuthnot-by-the-Sea hatte seine eigene Band, die auf eine kalte, für Maine typische Art den Sound der Big-Bands nachahmte.
    »Und das ist Winslow Berry, der es mag, wenn man ihn Win nennt! Nicht wahr, Win? Er geht im Herbst auf die Harvard University!«
    Aber mein Vater blickte geradeaus auf meine Mutter, die lächelte und das Gesicht abwandte - seinetwegen ebenso verlegen wie ihretwegen. Sie hatte noch nie bemerkt, wie gut er wirklich aussah; er war so robust gebaut wie Coach Bob, doch durch die Dairy School hatte er sich die Manieren, die Kleidung und die Art Frisur angeeignet, wie sie in Boston (und nicht in Iowa) Mode waren. Er sah aus, als gehe er schon jetzt auf die Harvard University, was immer das damals für meine Mutter bedeutet haben mag. »Ich weiß nicht, was es bedeutete«, erzählte sie uns Kindern. »Irgendwie kultiviert, nehme ich an. Er sah wie ein Junge aus, der trinken kann, ohne daß ihm schlecht davon wird. Er hatte die dunkelsten, strahlendsten Augen, und wenn man ihn ansah, hatte man immer das Gefühl, daß auch er einen gerade angesehen hatte - aber man konnte ihn nie dabei ertappen.«
    Diese Fähigkeit blieb meinem Vater sein ganzes Leben erhalten; wir hatten in seiner Gegenwart immer das Gefühl, daß er uns sorgfältig und liebevoll beobachtet hatte - selbst wenn er, sobald wir hinblickten, offenbar in eine andere Richtung sah, träumte oder Pläne schmiedete, angestrengt nachdachte oder in Gedanken ganz weit weg war. Selbst als er wirklich blind war gegenüber unseren Plänen und Taten, schien er uns noch zu »beobachten«. Es war eine merkwürdige Verbindung von Zurückgezogenheit und Wärme - und meine Mutter spürte sie zum ersten Mal auf dieser leuchtend grünen Rasenzunge, eingerahmt vom grauen Meer von Maine.
    Vorstellung des Personals: 16.00 Uhr
    So erfuhr sie also, daß er da war.
    Als die Vorstellungen vorbei waren und das Personal angewiesen wurde, sich für die erste Cocktailstunde, das erste Dinner und die erste Abendunterhaltung bereitzumachen, fiel der Blick meines Vaters auf meine Mutter, und er kam zu ihr herüber.
    »Ich kann mir Harvard erst in zwei Jahren leisten«, war das erste, was er zu ihr sagte.
    »Das dachte ich mir«, sagte meine Mutter. »Aber ich finde es wunderbar, daß sie dich genommen haben«, fügte sie rasch hinzu.
    »Warum sollten sie mich nicht nehmen?« fragte er.
    Mary Bates zuckte mit den Achseln, eine Geste, die sie sich angewöhnt hatte, weil sie ihren Vater nie verstand (da er seit dem Schlaganfall höchst undeutlich redete). Sie trug weiße Handschuhe und einen weißen Hut mit einem Schleier; sie war schon für die erste Gartenparty angezogen, bei der sie servieren sollte, und mein Vater staunte, wie hübsch ihr Haar sich an ihren Kopf schmiegte - es war hinten länger, vom Gesicht aus nach hinten gekämmt und irgendwie an Hut und Schleier auf eine Art und Weise festgemacht, die so einfach und doch geheimnisvoll war, daß mein Vater anfing, sich Gedanken über meine Mutter zu machen.
    »Was tust du im Herbst?« fragte er sie.
    Wieder zuckte sie mit den Achseln, aber vielleicht sah mein Vater in den Augen hinter dem weißen Schleier, daß meine Mutter hoffte, vor der Zukunft bewahrt zu werden, die sie auf sich zukommen sah.
    »Wir waren nett zueinander bei dieser ersten Begegnung, das weiß ich noch genau«, erzählte uns Mutter. »Wir waren beide allein, in einer neuen Umgebung, und wir wußten Dinge voneinander, die sonst niemand wußte.«

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