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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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nicht wahrnehmbar waren, jedenfalls nicht bewußt. »Er war zu alt, um noch ein Bär zu sein«, sagte Vater. »Er ging auf seinen letzten Füßen.«
    »Doch es waren die einzigen Füße, die er hatte!« sangen wir dann im Chor - Frank, Franny und ich -, das war unser einstudierter Anteil am Ritual. Und später, als sie die Geschichte draufhatten, stimmten auch Lilly und schließlich sogar Egg mit ein.
    »Der Bär hatte keine Freude mehr an seiner Rolle als Entertainer«, sagte Vater. »Er spielte sie lustlos, ohne innere Beteiligung. Und von allen Menschen und Tieren und Gegenständen liebte er nur noch dieses Motorrad. Deshalb mußte ich mit dem Bären auch das Motorrad kaufen. Und deshalb fiel es dem Bären auch nicht sonderlich schwer, seinen Lehrmeister zu verlassen und mir zu folgen; das Motorrad bedeutete diesem Bären mehr als irgendein Lehrmeister.«
    Und später stieß Frank Lilly an, die gelernt hatte, an dieser Stelle zu fragen: »Wie hieß der Bär?«
    Und Frank und Franny und Vater und ich riefen wie mit einer Stimme: »State o' Maine!« Der doofe Bär hieß tatsächlich so, und zusammen mit einem Motorrad - einer 1937er Indian mit handgefertigtem Beiwagen - kaufte ihn mein Vater im Sommer 1939 für 200 Dollar und die besten Kleider in seiner Feldkiste.
    Mein Vater und meine Mutter waren in diesem Sommer neunzehn Jahre alt; sie wurden beide 1920 in Dairy, New Hampshire, geboren und wuchsen beide dort auf, doch sie waren sich in diesen Jahren mehr oder weniger aus dem Weg gegangen. Es ist einer jener logischen, vielen guten Geschichten zugrunde liegenden Zufälle, daß beide - zu ihrer Überraschung - den Sommer über im Arbuthnot-by-the-Sea arbeiteten, einem Strandhotel fernab von Zuhause, jedenfalls für sie, denn Maine lag (damals und in ihrer Vorstellung) fernab von New Hampshire.
    Meine Mutter war Zimmermädchen, trug jedoch ihre eigene Kleidung, wenn sie servierte oder bei den Cocktailparties aushalf, die im Freien unter Zeltdächern stattfanden und von den Golfern, den Tennis- und Krocketspielern und, nach einer Regatta, von den Segelsportlern besucht wurden. Mein Vater half in der Küche, schleppte Gepäck, hegte und pflegte die Grüns auf dem Golfplatz und sorgte dafür, daß die weißen Linien auf den Tennisplätzen immer gut sichtbar und gerade waren und daß die Leute, die wackelig auf den Beinen waren und erst gar nicht an Bord eines Schiffes hätten gehen sollen, beim Ein- und Aussteigen am Anlegeplatz möglichst davor bewahrt wurden, sich wehzutun oder ins Wasser zu fallen.
    Es waren Ferienjobs, die sowohl von den Eltern meiner Mutter als auch denen meines Vaters gebilligt wurden, doch für Mutter und Vater war es irgendwie demütigend, einander dort zu entdecken. Es war der erste Sommer, den sie nicht in Dairy, New Hampshire, verbrachten, und sie hatten sich das noble Ferienhotel zweifellos als einen Ort vorgestellt, an dem auch sie - zwei völlig Fremde - als einigermaßen glanzvoll gelten könnten. Mein Vater hatte gerade die Dairy School, eine Privatschule für Jungen, hinter sich gebracht; für den Herbst war er zum Studium an der Harvard University zugelassen worden. Er wußte zwar, daß er frühestens im Herbst 1941 hingehen konnte, da er sich vorgenommen hatte, erst das Geld für die Studiengebühren zu verdienen; aber im Sommer 39 im Arbuthnot-by-the-Sea hätte mein Vater nur zu gerne bei den Gästen und den anderen Bediensteten den Eindruck erweckt, er sei morgen schon Harvard-Student. Da nun meine Mutter da war, die seine Verhältnisse natürlich genau kannte, war er gezwungen, die Wahrheit zu sagen. Er konnte das Studium an der Harvard University erst aufnehmen, wenn er das Geld für die Kosten zusammen hatte; aber natürlich war es schon eine Leistung, überhaupt dort studieren zu können, und die meisten Leute in Dairy, New Hampshire, hatten mit Überraschung auf die Neuigkeit reagiert, daß die Harvard University ihn tatsächlich angenommen hatte.
    Als Sohn des Football-Coaches an der Dairy School gehörte mein Vater, Winslow Berry, nicht ganz in die Kategorie der Lehrerkinder. Er war der einzige Sohn eines Kraftprotzes, und sein Vater, den jeder nur Coach Bob nannte, war kein Harvard-Mann - ja, er galt als unfähig, Nachwuchs für Harvard zu produzieren.
    Robert Berry hatte Iowa verlassen und war in den Osten gezogen, nachdem seine Frau im Kindbett gestorben war. Bob Berry war ein wenig alt für einen alleinstehenden Mann, der gerade erstmals Vater geworden war - er war

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