Das Hotel New Hampshire
Damals war das wohl bereits ziemlich intim.
»Zu der Zeit war man überhaupt nicht intim«, sagte Franny einmal. »Nicht mal Leute, die sich liebten, furzten voreinander.«
Und Franny wirkte überzeugend - ich glaubte ihr oft. Selbst mit der Sprache war sie ihrer Zeit voraus - als wüßte sie immer, wo es langging; und ich konnte nie ganz Schritt mit ihr halten.
An diesem ersten Abend im Arbuthnot spielte die hauseigene Band ihre Imitation des Big-Band-Sounds, aber es waren sehr wenige Gäste da, und noch weniger Tänzer; die Saison lief gerade erst an, und in Maine läuft sie langsam an - es ist so kalt dort, selbst im Sommer. Der Ballsaal hatte einen blank gewienerten Holzboden, der über die offenen, zum Meer hin gelegenen Veranden hinauszugehen schien. Wenn es regnete, mußte man Markisen über die Veranden herunterlassen, da der Ballsaal ringsum so offen war, daß der Regen hereingeweht wurde und die gebohnerte Tanzfläche naßmachte.
An diesem ersten Abend, als Bonbon für das Personal - und weil so wenige Gäste da waren, von denen sowieso die meisten zu Bett gegangen waren, um sich zu wärmen - spielte die Band länger als sonst. Mein Vater und meine Mutter und die anderen Angestellten durften eine Stunde oder länger tanzen. Meine Mutter erinnerte sich immer daran, daß der Kronleuchter im Ballsaal kaputt war - er verbreitete nur einen matten Schimmer; unregelmäßige Farbtupfen sprenkelten die Tanzfläche, die in dem kümmerlichen Licht so weich und glatt wirkte, daß der Boden die Beschaffenheit einer Kerze zu haben schien.
»Ich bin froh, daß jemand hier ist, den ich kenne«, flüsterte meine Mutter meinem Vater zu, der sie ziemlich förmlich zum Tanz aufgefordert hatte und sehr steif mit ihr tanzte.
»Aber du kennst mich doch gar nicht«, sagte Vater.
»Das«, erzählte uns Vater, »habe ich nur gesagt, damit eure Mutter wieder mit den Achseln zuckte.« Und als sie es tatsächlich tat und sich dachte, was für ein unendlich schwieriger - und vielleicht überlegener - Gesprächspartner er doch sei, da war mein Vater überzeugt, daß er sich nicht nur zufällig zu ihr hingezogen fühlte.
»Aber ich möchte, daß du mich kennst«, sagte er zu ihr, »und ich möchte auch dich kennenlernen.«
(»Puh«, sagte Franny immer an dieser Stelle der Erzählung.)
Ein Motorengeräusch übertönte die Band, und viele hörten zu tanzen auf, um nachzusehen, was das für ein Lärm war. Meine Mutter war für die Unterbrechung dankbar: sie wußte nicht, was sie Vater antworten sollte. Sie gingen, ohne sich an den Händen zu halten, auf die Veranda hinaus, die den Blick auf den Bootsanlegeplatz freigab; im Licht der Lampen, die dort an Freileitungen schwankten, sahen sie einen Hummerfänger, der gerade in See stach, nachdem er offenbar ein dunkles Motorrad an Land abgesetzt hatte, das nun aufheulend auf Touren gebracht wurde - vielleicht sollte so die feuchte salzige Luft aus seinen Röhren und Leitungen geblasen werden. Der Fahrer schien darauf bedacht, erst das richtige Motorengeräusch zu bekommen, bevor er den Gang einlegte. Das Motorrad hatte einen Beiwagen, und darin saß eine dunkle Gestalt, plump und reglos, wie ein bis zur Unbeholfenheit vermummter Mann.
»Es ist Freud«, sagte jemand aus dem Personal. Und dann riefen auch andere, ältere Angestellte aus: »Ja, Freud! Freud und State o' Maine!«
Meine Mutter und mein Vater dachten beide, »State o' Maine« sei der Markenname des Motorrads. Doch dann hörte die Band zu spielen auf, da niemand mehr tanzte, und auch von den Musikern kamen einige auf die Veranda heraus.
»Freud!« riefen die Leute.
Mein Vater erzählte uns immer, ihn habe die Vorstellung amüsiert, der Freud werde im nächsten Augenblick mit dem Motorrad an die Veranda herangefahren kommen und sich dann im Licht der hoch oben hängenden Lampen, die den makellosen Kiesweg säumten, dem Personal vorstellen. Hier kommt also Sigmund Freud, dachte Vater; er war gerade dabei, sich zu verlieben - da war alles möglich.
Aber es war natürlich nicht der Freud; es war das Jahr, in dem der Freud starb. Dieser Freud war ein Wiener Jude, der ein Bein nachzog und dessen Namen keiner aussprechen konnte; seit 1933, als er seine österreichische Heimat verlassen hatte, arbeitete er den Sommer über im Arbuthnot, und dort hatte er den Namen Freud verdient wegen seiner Fähigkeit, bekümmerte Angestellte und Gäste zu trösten. Er war ein Entertainer, und da er aus Wien stammte und Jude war, fanden es
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