Das Imperium der Woelfe
eine Gruppe Studenten auf dem Campus.
»Die Universität von Bogazici im April 1993«, erklärt er. »Das einzige Foto, das es von dir gibt. Von deinem früheren Gesicht, meine ich... «
Plötzlich taucht ein Feuerzeug zwischen seinen Fingern auf. Die Flamme dringt in die Dunkelheit vor und frisst langsam das Glanzpapier auf. Es riecht stark nach Chemie.
»Nur wenige können sich rühmen, dir nach dieser Zeit begegnet zu sein, Sema. Vor allem, wo du ständig den Namen, das Aussehen und das Land gewechselt hast... «
Er hält immer noch das knisternde Foto in der Hand. Funkelnde, rosafarbene Flammen beleuchten sein Gesicht. Sie glaubt, es sei eine ihrer Halluzinationen. Vielleicht der Beginn eines Anfalls ... Aber nein, es ist nur das Gesicht des Mörders, der Feuer trinkt.
»Ein totales Rätsel«, fährt er fort, »in gewisser Weise hat es die drei anderen Frauen das Leben gekostet.« Er betrachtet das Feuer, das er zwischen den Fingern hält. »Sie haben sich vor Schmerzen gekrümmt. Lange. Sehr lange ...«
Endlich lässt er die Aufnahme los. Sie fällt in eine Pfütze: »Ich hätte auf eine Operation kommen müssen. Das gehörte zu deiner Logik, die letzte Veränderung... «
Er blickt auf die schwarze Pfütze, aus der Rauch aufsteigt.
»Wir sind die Besten, Sema. Jeder auf seinem Gebiet. Was hast du vorzuschlagen?«
Sie spürt, dass der Mann sie nicht als Feindin, sondern als Rivalin betrachtet, besser noch: als ein Double. Diese Jagd war mehr als ein Auftrag, sie war eine persönliche Herausforderung. Ein Weg auf die Rückseite des Spiegels... Einem Impuls folgend, sagt sie provokant: »Wir sind nichts als Werkzeuge und Spielsachen in den Händen der Babas.«
Azer runzelt die Stirn, sein Gesicht verzieht sich. »Ganz im Gegenteil«, flüstert er. »Ich benutze sie, um unserer Sache zu dienen. Ihr Geld... «
»Wir sind ihre Sklaven.«
Eine Spur Irritation in seiner Stimme: »Was suchst du?« Er schreit plötzlich laut auf, seine Schokolade fällt zu Boden. »Was schlägst du vor?«
»Dir gar nichts. Ich spreche nur mit Gott persönlich.«
zwölf
Kapitel 73
Ismail Kudseyi stand im Park seines Anwesens in Yeniköy. Es regnete. Vom Rand der Terrasse aus, zwischen den Schilfrohren, hielt er die Augen starr auf den Fluss gerichtet.
Das asiatische Ufer lag in der Ferne wie ein schmales Band, das der Sturm zerfetzte. Es war mehr als tausend Meter entfernt, und kein Boot war zu sehen. Der alte Mann fühlte sich in Sicherheit, unerreichbar für einen einzelnen Schützen. Nach Azers Anruf hatte er den Wunsch verspürt, hierher zu kommen. Seine Hand in diesen silbernen Saum, die Finger in den grünen Schaum zu tauchen. Ein dringliches, fast körperliches Bedürfnis.
Er stützte sich auf seinen Stock, hielt sich am Geländer fest und stieg vorsichtig die Stufen hinunter, die bis ans Wasser führten. Der Meeresgeruch drang ihm entgegen, der feine Regen durchnässte ihn. Der Fluss schien in Aufruhr, doch wie wild der Bosporus auch war, am Rand der Steine gab es immer noch verborgene Verstecke, Ziselierungen aus Gras, an denen kleine Wellen schwappten, in denen sich der Regenbogen spiegelte.
Noch heute, mit vierundsiebzig Jahren, kam Kudseyi an diese Stelle, wenn er nachdenken wollte. Es war das Bett seines Ursprungs. Hier hatte er Schwimmen gelernt. Hier hatte er seine ersten Fische gefangen, seine ersten Bälle verloren, zusammengeknotete Stoffe, die im Kontakt mit dem Wasser ihre Bänder ausrollten wie die Verbände einer für immer verschlossenen Kindheit...
Der alte Mann sah auf die Uhr: Neun. Was machten sie wohl?
Er stieg wieder die Treppe hinauf und betrachtete sein Königreich. Die lange Außenmauer in leuchtendem Rot, die den Park vom Verkehr völlig abriegelte, die Bambuswälder, die sich bogen wie Federn, so sanft, dass noch der kleinste Hauch sie erzittern ließ. Die steinernen Löwen mit den ausgebreiteten Flügeln, die auf den Stufen des Palais lagen, die runden Wasserbecken, von Schwänen durchfurcht.
Er wollte sich gerade unterstellen, vor dem Regen Schutz suchen, als er das Brummen eines Motors hörte. Durch den Sturm wirkte es eher wie ein Vibrieren unter seiner Haut, nicht wie ein wirkliches Geräusch. Er wandte den Kopf um und sah das Boot, das es mit jeder Welle aufnahm, das hoch aufragte und wieder herabfiel, hinter sich zwei Flügel aus Schaum.
Azer lenkte das Boot, in seine bis zum Kragen zugeknöpfte Jacke gezwängt. Sema wirkte in den wirbelnden
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