Das Imperium
durfte nur nicht nach unten sehen oder darüber nachdenken, was sie anstellte. Oben wurden die miteinander verbundenen Äste von den grünen Priestern wie Gehwege benutzt.
Estarra trug nur wenige Kleidungsstücke, denn es war warm im Wald. An ihren Füßen gab es dicke Schwielen; sie brauchte also keine Schuhe. Einen Haltepunkt nach dem anderen brachte sie hinter sich, kletterte immer weiter nach oben. Erschöpft, aber auch aufgeregt schob sie sich schließlich durchs Blätterdach. Sie blinzelte im ungefilterten Licht der Sonne, die an einem blauen Himmel schien, über dem endlosen Wald.
Selbst hier oben konnte Estarra nicht sehen, wo ein individueller Baum aufhörte und der nächste begann. Sie hörte viele Stimmen, vereint in einem leisen Singsang, aber auch einzelne, hoch und tief.
Estarra stützte sich an den Wedeln ab und sah zu den versammelten Priestern, sonnengebräunten und gesunden Akolythen, die noch nicht grün geworden waren, und den älteren Priestern mit der grünen Haut, die sich bereits durch Symbiose mit dem Weltwald verbunden hatten. Die Akolythen saßen auf Plattformen und Zweigen, lasen laut aus Schriftrollen oder von elektronischen Tafeln. Einige spielten Musik. Andere rasselten Datenströme herunter und bedeutungslose Zahlen aus Tabellen. Es herrschte ein verwirrendes Durcheinander an Aktivität, denn die Priester waren wie immer bestrebt, das Wissen des Weltwaldes und die in ihm gespeicherten Daten zu erweitern. Dadurch zeigten die Priester Ehrfurcht vor dem grünen Geist und halfen ihm gleichzeitig. Hunderte von Stimmen sprachen, und die Weltbäume hörten zu und lernten.
Es gab so viel zu sehen und zu erleben und all jene Erfahrungen standen den grünen Priestern offen, während sie hier oben saßen, verbunden mit dem Geist des Weltwaldes. Estarra wünschte sich, alles verstehen zu können, was der Wald wusste. Die Priester sangen Gedichte, lasen Geschichten und diskutierten über philosophische Themen, vermittelten Informationen in allen Formen. Die Weltbäume nahmen die Daten auf und ihr Netzwerk sehnte sich nach immer mehr.
10 ERSTDESIGNIERTER JORA’H
Am Rand des gleißenden Horizont-Clusters empfing Ildira das variierende Licht von sieben Sonnen. Die Heimwelt der Ildiraner umkreiste eine warme, orangefarbene K1-Sonne, die sich in der Nähe eines Doppelsterns befand: das Qronha-System, bestehend aus einem roten Riesen und einem kleineren, nahen gelben Begleiter. Etwas weiter entfernt, aber immer noch hell am ildiranischen Himmel, leuchtete der erstaunliche Tristem Duris. Dort bildeten ein weißer und ein gelber Stern ein Paar und ein roter Zwerg umkreiste das gemeinsame Schwerkraftzentrum. Ebenfalls weiter entfernt glänzte der blaue Superriese Daym wie ein großer Diamant.
Auf Ildira wurde es nie Nacht.
Mijistra, Hauptstadt und Juwel des alten Reiches, funkelte unter einem messingfarbenen Himmel. Die Türme und Kuppeln bestanden aus Kristall und buntem Glas. Ultrastarke transparente Polymere ermöglichten eine Architektur mit sehr gewagten Formen.
Der Erstdesignierte Jora’h, ältester Sohn und Erbe des Weisen Imperators, atmete die wohlriechende Luft tief ein. Sie enthielt auch Feuchtigkeit von den nach oben gischtenden Wasserfällen, die am Prismapalast emporreichten.
Wie es seine Pflicht gebot, wartete der Erstdesignierte auf den menschlichen Repräsentanten von Theroc. Der junge Mann namens Reynald war angeblich Jora’hs Amtskollege, allerdings auf einem viel tieferen Niveau. Der menschliche Prinz wurde irgendwann zum regierenden Vater eines Waldplaneten, aber dem Erstdesignierten stand die Herrschaft über das riesige Ildiranische Reich bevor.
Jora’h hob beide Hände, um den lächelnden Mann zu begrüßen. »Prinz Reynald, ich heiße Sie herzlich in Mijistra willkommen.«
Der breitschultrige Mensch kam die Stufen hoch und näherte sich der Empfangsplattform, flankiert von stämmigen Vertretern des ildiranischen Soldaten-Geschlechts. Eine kleine Eskorte aus Menschen begleitete Reynald; zu ihr gehörte auch ein grüner Priester.
Der Theron hatte schwarzes Haar, zu zwei Zöpfen gebunden, die sich am Nacken vereinten. Er trug einen ärmellosen, gepolsterten Kasack aus einem interessanten, perlenartigen Stoff, der im Licht der sieben Sonnen glänzte. Er hatte ein quadratisches Gesicht mit flachen Wangen und weit auseinander stehenden dunklen Augen. Filterlinsen schützten sie vor dem für Reynald zu grellen Licht Ildiras. Aus dem gleichen Grund hatte das Empfangskomitee
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