Das Implantat: Roman (German Edition)
Schlagabtausch verhaken wir uns enger ineinander. Als ich seinen Mittel- und seinen Ringfinger nach hinten knicke und sie beide unmittelbar über dem Handteller brechen, gibt Lyle ein so lautes Hyänenlachen von sich, dass die Sehnen an seinem Hals hervortreten.
Doch der Kampf ist bereits vorüber. Grauenvolle Zweckmäßigkeit. Eine gelöste Gleichung.
Unsere Arme sind so fest ineinander verkeilt, dass wir uns kaum bewegen können. Lyle wird mit der Seite gegen die Brüstung gedrückt. Hinter ihm blicken tausend gebannte Augenpaare zu uns auf. All die unendlich scheinenden Armkonfigurationen um uns herum haben sich auf diesen einen unentrinnbaren Haltegriff reduziert. Beinah sanft presse ich meinen Unterarm gegen Lyles Kehle. Er versucht, sich zu befreien, und dreht wild seinen verschwitzten Kopf hin und her. Eingeklemmt zwischen Eisen und Körper.
Wir wissen beide, dass seine Befreiungschancen gegen null gehen.
Lyles Augen glänzen wie nasser Asphalt. Der Sauerstoffmangel sorgt dafür, dass sein gebräuntes Gesicht immer roter und dunkler wird. Blinzelnd sieht er mich an und stößt mit einem Ächzen hervor: »Du bist kein Mörder.«
Mein Arm bleibt fest in Position, während seine Worte verhallen. Lyle wirkt verwirrt. Irgendwie verletzt, als hätte ich ihn beleidigt.
Heutzutage kann ein einzelner Mensch eine ganze Menge Unheil anrichten. Die Technologie macht so viel mehr aus jedem von uns. Dieser dünne Cowboy vor mir könnte den Tod von Millionen Menschen verursachen. Und alles, was ihn besonders macht, ist sein mächtiger Mumm, seine Wut, sein Siegeswille – und das brillante Stück Hochtechnologie, das in seinem Schädel steckt.
Ich frage mich, ob ich mich so sehr von ihm unterscheide. Und ich frage mich, ob das überhaupt etwas ausmacht.
»Wir haben alle einen Mörder in uns«, flüstere ich und verlagere mein Gewicht auf meinen Unterarm. Lyles Augen weiten sich, als ich ihm die Kehle eindrücke und so Blut- und Luftfluss zum Stoppen bringe. Ich meine, ein überraschtes Lächeln über seine Lippen huschen zu sehen, und er öffnet sie, als wollte er etwas sagen. Doch es kommen keine Worte heraus.
Lyles dunkle Augen schließen sich ein für alle Mal.
Lange betrachte ich sein regloses Gesicht, bevor ich schließlich seinen Körper zu Boden sinken lasse. Die Menschen in der Menge unter mir wirken verwirrt. Eine Frau schreit lauf auf. Und hinter mir bewegt sich etwas im Zimmer. Vaughn. Er hat es geschafft, sich auf seinen Ellbogen aufzustützen. Sein Gesicht glänzt vor Schweiß, und als er mich anlächelt, sehe ich, dass seine Zähne immer noch voller Blut sind.
»Sie werden dir nie glauben«, sagt er.
Ich höre Schreie im Gang, lauter werdende Schritte. Meine Haut kribbelt, und meine Sicht verschwimmt. Wankend stütze ich die Hände auf die Knie. Ich weiß nicht genau, warum, aber irgendwie habe ich das Gefühl, gerade meinen besten Freund getötet zu haben. Oder meinen Bruder. Vielleicht sogar mich selbst.
Kraftlos, doch mit einem Ausdruck des Triumphes im Gesicht lässt Vaughn sich wieder auf den Rücken sinken.
Als er allerdings sieht, wie ich meine zitternden Finger zu der Buchse an meiner Schläfe führe, vergeht ihm das Grinsen. Mein Netzhautimplantat hat die letzten zwanzig Minuten mitgeschnitten. Das weiß ich noch von damals, als Nick so übel mitgespielt wurde.
»Nein«, sagt Vaughn.
Ich hole tief Luft, packe die Buchse und schließe die Augen.
Dann reiße ich sie heraus.
The Pittsburgh Post-Gazette
Strafrechtliche Untersuchungen erschüttern »Pure Pride«-Organisation
PITTSBURGH – In den vergangenen Tagen hat der Pure Human Citizen’s Council ( PHCC ) einen beträchtlichen Teil des Rückhalts verloren, den er in der Bevölkerung besaß. Auch der einflussreiche AARP , die Amerikanische Vereinigung der Ruheständler, ist auf Abstand zu der Organisation gegangen.
Die Zustimmung zu der gegen Amp-Träger gerichteten Vereinigung ist auf ein historisches Tief gesunken, nachdem sich herausgestellt hat, dass wenigstens ein Teil der jüngeren Gewaltexzesse durch Söldnertruppen verursacht wurden, die der PHCC vermutlich selbst zu diesem Zweck angeheuert hat. Bürgerrechtsgruppen klagen schon seit langem darüber, dass die Äußerungen der Organisation an Volksverhetzung grenzen und der Diskriminierung Vorschub leisten. Jetzt behaupten manche Gruppen sogar, die Anschläge auf Houston, Detroit und Chicago seien von dem PHCC finanziert worden.
Dr. Sven Sorenson,
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