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an, und ihre Augen waren ungefähr in Dachfirsthöhe.
»Ich hab kein Abitur«, sagte ich. »David Groth, auch wedernochnoch, fünfundzwanzig, Redakteur, zur Zeit krank geschrieben, drei Rippen gebrochen – ich habe ein Motorrad; wenn es trocken ist, fahre ich Sie einmal.«
Als meine Rippen wieder hielten und die Sonne wieder schien, bin ich mit ihr nach Lanke gefahren. Sie hieß Fran und war Fotografin, doch geheiratet haben wir erst drei Jahre später, und davor waren wir einmal sehr lange sehr weit auseinander, und davor noch waren wir ein paarmal sehr nahe beieinander. Noch bevor wir nach Lanke gefahren sind und noch bevor der Regentag mit Geschonneks Büchern zu Ende war.
»Sie können mitkommen«, sagte sie, »ich hab ein Glas Leberwurst. Meine Mutter wohnt in der Börde.«
»Das ist in jeder Hinsicht schön«, sagte ich.
Sie war auch in jeder Hinsicht schön. Manchmal machte sie die Augen zu, aber nicht immer. Manchmal hielt sie die Zunge still, aber nicht immer. Manchmal lag sie ganz ruhig da, aber lange nicht immer. Ich konnte mich in ihren Augenwinkeln verlaufen, und ich verirrte mich in all ihrem Haar, und so viel schnell vergehende Herzfehler hatte ich nie, und ich bedaure alle, die vor mir schon den Atem eines Mädchens beschrieben haben, und ich weiß seither, wie kaltes Wasser schmeckt, weilich seither weiß, was Durst ist und Freiheit und Selbstverständlichkeit.
»Du«, sagte ich, »ist ›Fran‹ aus einem amerikanischen Film?«
»Nein, das ist aus der Börde, wo sie mit der zweiten Lautverschiebung nicht ganz fertig geworden sind. Da darf man nicht Franziska heißen.«
Mit ihr konnte man nichts falsch machen. Bevor man es tun konnte, hatte sie das Richtige getan, und so, daß einem war, als hätte man es selbst so machen wollen.
Sie hat mich in ihr Zimmer genommen, hat mir das Glas zum Öffnen gegeben, hat einen komischen Börde-Tee gekocht, hat geredet wie ein Nachbarskind und mich von dem Ehrgeiz befreit, so zu reden wie Hopalong Cassidy und um Gottes willen nicht wie der junge Werther, hat etwas von Goya gewußt, aber nicht so, daß es mir peinlich war, hat mich geküßt, als ich mich noch fragte, ob man das dürfe, mit Leberwurstgeschmack im Mund, hat gesagt, nein, sie trüge nie ein Hemd, als ob es das gewesen wäre, was mir den Atem verschlug, hat mir erzählt, wie ihr so war, als ihr so war, hat mir gezeigt, daß nicht vorbei war, was eben vorbei war, hat mir zu trinken gegeben bei diesem Durst und dem anderen und hat danke gesagt, ja, wirklich, sie hätte nun wirklich Durst gehabt, und danke auch. Mit Fran konnte man glücklich sein, ich bin es noch, bin es wieder, aber dies alles interessiert wohl nicht so sehr in der Obersten Abteilung. Oder?
Wenn es in Ordnung ist, interessiert es nicht. Privat vielleicht, aber nicht dienstlich. Jedoch weiß ich keinen dort in der Abteilung, der diese Unterscheidung gelten ließe. Auf dieser Ebene gehen nicht nur die Uhren anders, weil die Arbeit erst getan ist, wenn der Beschluß vorliegt, hier ist auch nicht mehr trennbar, was bei unsereins noch unter verschiedenen Rubriken läuft, berufliche und gesellschaftliche Tätigkeit zum Beispiel, und einfach unvorstellbar ist, Mücke etwa oder Wolfgang oder einer der anderen könnte zu ein und derselben Sache zweierlei Meinungen haben, dienstlich die eine und im Privaten dann noch eine andere.
Unvorstellbar? Mir unvorstellbar jedenfalls, zumindest, wo es um Wichtiges geht. Natürlich, auch sie werden Sachlichem den Vorrang geben und dennoch nicht auf den eigenen Geschmack verzichten; wenn Politik und Wohl des Staates es wollen, werden sie das Erforderliche tun, ohne in jedem Falle zu glauben, Erforderliches und Wünschenswertes seien unbedingt dasselbe.
So weiß ich, wie Xaver Frank über das Boxen denkt. Xaver ist der Mann, den man fragt, wenn es in der Abteilung um Sportsachen geht. Er kennt die Trainer und Klubpräsidenten, die Schanzenbauer und Hallenwarte, die Rekordhalter und die Rekordlisten, vor allem die internationalen. Auch Sportfragen sind Leitungsfragen, und so sind da ein paar Antworten mehr, die von der Abteilung erwartet werden. Xaver hilft dann; er kennt sich wirklich aus, und man hört auf ihn. Nur in Boxangelegenheiten hört man nicht auf ihn, ganz einfach, weil dann nichts von ihm zu hören ist. Da schweigt er. Er hat einmal seine Meinung gesagt, und seitdem ist er raus bei dem Thema. Er stimmt zwar am Ende mit ab, aber nur nach strikt politischen Gesichtspunkten, er tut dann
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