Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
Vom Netzwerk:
diskutiert ihr denn da über so etwas?«
    »Das liegt lange hinter uns. Manche sind für das Boxen, manche sind dagegen, aber solange Boxen olympische Disziplinist, machen wir mit. Wieder eine Sache, die bis zum Kommunismus Zeit haben muß.«
    »Da wird das abgeschafft?« fragte Hans, fast empört.
    »Wenn es nach mir geht«, sagte Xaver. »Aber dann müßte es auch nach mir gehen, daß ich hundert Jahre alt werde, oder besser hundertfünfzig. – Dann jedenfalls wird es nicht mehr nötig sein, daß wir zehn Jungens auf die Reise schicken mit dem Auftrag, anderen zehn Jungens und mehr die Nasenbeine zu zertrümmern und das Sonnengeflecht zu ruinieren, damit der Medaillenspiegel anzeigt, daß wir da sind. Dann sind wir da, Gleiche unter Gleichen, und haben keine Ellenbogen mehr nötig und die Fäuste nicht für so was. Und die Scheiß-Raketen auch nicht, um mal von etwas zu reden, was uns noch ein klein wenig mehr Sorgen macht als eure edlen Faustkämpfer. Aber jetzt gehe ich. Knipst mal wieder ’n paar Turnerinnen.«
    Wir brachten ihn noch auf die Straße, dann fragte Hans: »Was wollte er nun eigentlich?«
    »Du, Hans«, sagte ich, »manchmal muß einer einfach mal was sagen.«
    »Stimmt schon«, sagte er, »aber der auch?«
    Eine merkwürdige Frage – merkwürdig vor allem deshalb, weil wir sie alle stellen, immer wieder. Unter uns und um uns liegt das Reich der Selbstverständlichkeiten, über uns aber beginnen Mysterien. Wir schleppen einen uralten Aberglauben mit: Unsere Oberen sind anders als wir; sind sie nicht gleich Götter, so sind sie doch uns anderen Menschen nicht ganz gleich. Sie kommen aus demselben Stroh wie wir und müssen doch anders sein, sagen wir, weil sie über uns stehen.
    Dämpfen wir den Neid auf diese Weise, berufen wir uns auf Natur und Wunder, damit uns unsere Rolle erträglicher werde, bedarf die Unterordnung dieser Einrede? Und bedarf unsere Ordnung dieses Gespinstes zu ihrem Halt?
    Aber wenn Köhlerglaube noch Platz in unseren Köpfen findet, so doch nur, weil kein besseres Wissen ihm den Einzug verwehrt oder weil es zu schwach ist, dem Nebelspuk standzuhalten.
    Denn Spuk ist es, oder benennen wir es aufgeklärter: bloße Vorstellung, pure Einbildung, reine Erfindung und böses Erbe.
    Das vor allem. Tradition reitet uns; wir gehen noch an der Trense des Herkömmlichen; Altväter Denksitte führt da die Zügel.
    Und das sollte uns befremden, beunruhigen, stören, wecken: He, laßt uns aufwachen, wir sind jetzt in dieser Welt und nicht mehr in jener! Wir werden von unsereins regiert. Und unsereins hat seinen Auftrag nicht von Gottvater oder irgendeinem mehr fleischlichen Erzvater verordnet bekommen, unsereins war nicht schon als quiekender Infant Gardekommandeur, unsereinem sagte keine Stimme aus dem Dornbusch vor, unsereinen hat kein Gotha vorgesehen und überhaupt, was die Vorsehung anlangt, so war sie, wo es um unsereins ging, weitgehend mit Blindheit geschlagen.
    Die Heraldiker sind böse mit uns: Wir haben sie brotlos gemacht – die auch; ihnen bleibt nur der Blick zurück, und uns bleibt ihr Zorn, denn wir können nicht dienen mit Zepter und Kron, Reichsapfel und Hermelin, den Insignien der Hochgeburt; wir sind nicht einmal Wohlgeboren, unsere Ahnen geben nichts her für Schildereien, die Erkennungszeichen weithergekommener Macht. Unsere Stammbäume blieben ungemalt, da keine Wappen in ihren Zweigen hingen; da baumt kein Aar auf knorrigem Ast, kein Falkenauge blitzt diamanten, kein gefiederter Doppelkopf bezeugt das Fabelhafte unseres Daseins, kein Greifenhaupt erklärt uns für sagenhaft, kein Drachenflügel gibt vor, wir kämen aus dem Märchenreich. Wir sind, was das angeht, ohne Vergangenheit.
    Unvergessen daher die Geschichte, deren Ohrenzeuge man wurde am Abend nach einer Tagung im kleinen Saal von Cecilienhof zu Potsdam, Musik von Corelli darunter: Saßen da Schriftsteller, Anfänger und Angekommene, tranken Lindenblättrigen, wußten nicht mehr viel zu sagen, denn auf der Sitzung war ihnen vieles gesagt worden, hörten mit halbem Ohr ins Settecento, hatten eben noch einen müden Augenblick fürdas nachgedunkelte Ritterwesen in Preußenöl und rieben rekelnd Absatzspuren auf hohenzollernsches Parkett, da sprach Ludwig Renn, der von Golßenau, einziger Adelssproß unter schreibenden Ex-Bürgern und Ex-Proleten, sprach zu Müller oder Mickel oder Bräunig, einem der Jüngeren jedenfalls und jedenfalls sehr Mageren und Ahnenlosen, sprach es wohl nach einem stillen Vergleich

Weitere Kostenlose Bücher