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Galle von der Leber trennt; das Lachen eines Groth aus Holstein zu vernehmen im Gebrüll eines Groth aus Pommern, der kopflings über einem Feuer hängt, das ein Groth aus Lüneburg fröhlich schürt. Sich hungrige Groths auszudenken, fiebrige, stehlende, plündernde, ausgeplünderte, geblendete, taube, schwitzende, stotternde, bettelarme und saudumme Groths, dazu braucht es ein Nichts an Imagination, das liegt so nahe, denn diese Art Groth-Linie reicht bis in die allerjüngste Vergangenheit.
So gewiß wie die Golßenaus im siebzehnten Jahrhundert einen Dicken hatten, so gewiß hatten die Groths in derselben Zeit einen dürren Torfstecher, einen hohlwangigen Dorfbader, einen schwindsüchtigen Flickschuster, einen mageren Ziegelbäcker, einen ausgemergelten Grundholden, einen spillrigen Reepschläger, einen spacken Spökenkieker, engbrüstige Ducklinge in jeder Menge – nur wurden die nicht gemalt, und so gibt es keine Bilder von ihnen und so kein Bewußtsein.
Das hatte unsereins erst nachzutragen, das auch noch.
Gut, haben wir gesagt, da ist das siebzehnte Jahrhundert, und sein Namensregister ist ein bißchen unvollständig, da werden wir wohl die Lücken zwischen den diversen Wallensteins,Tillys und Hatzfelds ein wenig ausfüllen müssen, da denken wir uns einmal zu einem jeden dieser gemalten Herren ein paar tausend Troßjungen und Tagelöhner namens Groth hinzu, zu jedem Herzog von Friedland tausend Spießträger und Mahlknechte namens Müller, zu jedem General Götz tausend Soldknechte und Hintersassen namens Sasse, zu jedem Bernhard von Weimar tausend Hellebardiere und Kärrner namens Wagenknecht, zu jedem Christian von Braunschweig tausend Schwertgesellen und Hufschmiede namens Schmidt, und so fort, zu jedem geadelten Malermodell einen Haufen bis dahin übersehener, weil unübersehbarer Arbeitsleute, das macht dann am Ende auf ein Dutzend gepinselter Obernasen eine Menge harter Fäuste, das macht eine Menge, eine Masse, eine Masse Volks, macht die Volksmassen, und von denen kommen wir her, wir, unsereins, und also unsere neue Oberkeit auch.
Sie und wir, wir waren der Hintergrund auf jenen Bildern, deren Vordergrund ein herrschender Dicker auf dickem Gaul einnahm, sie und wir, also unsereins; unsereins war das Getümmel hinter dem vollgefressenen effigierten Schlachtenlenker; unsereins machte dem Künstlerpinsel nicht halb soviel zu schaffen wie ein auserwählter Roßschweif; wir waren Farbrestgesprenkel, irgendwo dahinten. Dann allerdings, dann kamen wir nach vorn und machten denen da zu schaffen und schafften sie ab.
Nicht ganz ohne Hilfe freilich, nicht ohne Zutun von Leuten, die immerhin auch schon gemalt worden waren, nicht ohne ein klärendes Wort eines gewissen Dr. Marx, nicht ohne den staatlich examinierten Uljanow, nicht ohne Notarius Liebknecht, nicht ohne, sehr früh, Herrn Fabrikbesitzerssohn Friedrich Engels, und selbst nicht ganz ohne – seht, wer nun kommt – den späten Sproß derer von Golßenau, den dürren Ludwig Renn, neuartigen Schlachtenlenker aus ältestem Hause, Stabschef in einem Heer aus Peones und Trabajadores, sächsischen Republikanern auf spanischer Erde – o Hamlet, welch ein Aufstieg!
Seither haben wir eine neue Obrigkeit, und die unterscheidet sich, was ihre Altvorderen aus dem siebzehnten Jahrhundert betrifft, nicht von der neuen Untrigkeit.
Freilich, wenn da im siebzehnten Jahrhundert Gleichheit war, so darf die merkwürdige Ungleichheit des zwanzigsten, jene, die bis zum Mai fünfundvierzig anhielt, nicht übersehen werden, noch nicht. Denn in dieser Zeit war, was wir ein wenig vorschnell und gleichmacherisch unsereins nannten, doch wieder nicht ganz so ununterschieden. Die Differenzen enthüllen sich in biographischen Daten.
Nehmen wir – und nur zum Beispiel, denn viele andere aus unseren Obersten Abteilungen, Mücke und Wolfgang etwa, täten es auch –, nehmen wir noch einmal jenen Xaver Frank, den zerrissenen Gegner des Faustkampfs, und nehmen wir ins Gegenbild, sagen wir, den Hermann Groth aus Ratzeburg, den Onkel des David Groth, nicht dessen Vater, Wilhelm Groth, denn der hat einen Sonderweg genommen, nehmen wir Hermann, einen der vielen Groths, nehmen wir diesen.
Beide sind, das erleichtert den Vergleich, zwölf Monate älter als das Jahrhundert, beiden galten vor fünfzig Jahren Corelli und Leibniz und der Herzog von Friedland gleichviel, beide hatten bis dahin fast alles gemeinsam: Sie waren unsereins.
Dann allerdings, im November achtzehn, trat Xaver
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