Das Intercom-Komplott
hohler Hickhack war, dann mußte diese ›Bombe aus dem Hinterhalt‹, wie mein Vater es nannte, jedem schaden.
Ich fand heraus, daß man unter ›variabler Reluktanz‹ ein magnetisches Phänomen verstand, das tatsächlich schon auf verschiedene andere Seismographen oder Seismometer angewandt worden war. Und bei den Beschreibungen solcher Geräte tauchte immer wieder der Name eines amerikanischen Seismologen auf: der Name H. Benioffs, der diese Apparate einigermaßen erschöpfend erforscht hatte. Allerdings hieß es in diesen Berichten, daß sie nicht transportierbar seien; sie wogen etwa zweihundert Kilogramm. Da der in dem Bulletin beschriebene Apparat aber immerhin ungefähr siebzig Kilogramm schwer war, da man außerdem detailliert beschrieben hatte, wie man diese Gewichtsersparnis erreicht hatte, schloß ich, daß das technische Material dieses Bulletins echt war. Mir gelang es sogar, den russischen Geophysiker zu identifizieren, der als erster auf den Gedanken zu dieser Neukonstruktion gekommen war. Es war ein hochangesehener Wissenschaftler.
Mit N. W. Skriabin war es schon schwieriger. In der seismologischen Literatur jedenfalls konnte ich über ihn nichts finden.
Das freilich überraschte mich nicht. Ein Angehöriger einer sowjetischen Handelsmission mag zwar über technische Kenntnisse verfügen, aber es ist doch unwahrscheinlich, daß er gleichzeitig ein Wissenschaftler ist, dessen Name in den Autorenverzeichnissen von Fachveröffentlichungen erscheint. Er war sicherlich Spezialist auf irgendeinem Gebiet, aber die russische Regierung veröffentlicht nicht Listen ihres Personals, wie es von manchen anderen Ländern getan wird – und wenn wirklich einmal solche Aufstellungen an die Öffentlichkeit gelangen, sind in der Regel nur die leitenden Beamten aufgeführt. Jedenfalls konnte ich ihn in unseren Unterlagen nicht finden. Ich wußte nicht, auf welchem Gebiet er Fachmann war – es hätte alles sein können von der Heringsfischerei bis zum Maschinenbau –, und mir wurde bald klar, daß ich aus eigener Kraft nicht weiterkommen würde. Wollte ich weitere Hinweise über ihn erhalten, mußte ich eine diplomatische Quelle anzapfen. Schließlich rief ich einen Freund in der Bibliothek der Vereinten Nationen im Palais des Nations an und tischte ihm eine Lüge auf: Ich sagte ihm, ein ausländischer Generalkonsul habe uns gebeten, ihm über N. W. Skriabin und die sowjetische Handelsmission in Oslo alle verfügbaren Informationen zu geben, und fragte ihn, ob er uns helfen könne.
»Das ist aber komisch«, antwortete er. »Vor ein paar Tagen hat sich schon einmal jemand über denselben Mann erkundigt. Es war zwar kein Generalkonsul, aber immerhin der Rechtskonsulent einer ausländischen Botschaft in Bern. Woher kommt denn dieser Generalkonsul?«
Wie gesagt, war ich mit diesem Mann in der UN-Bibliothek befreundet. Wir hatten früher zusammen studiert, und ein Jahr lang hatte er mich regelmäßig ins Konzert ausgeführt. Es war eine jener Freundschaften, die sich über längere Zeit hinziehen. Als wir endlich feststellten, daß wir im Grunde überhaupt nicht zusammenpaßten – warum, weiß ich eigentlich gar nicht mehr, entweder konnten wir uns über Béla Bartók nicht einig werden, oder er hatte andere Ansichten über den Sex –, machte er Schluß. Trotzdem waren wir noch gut miteinander befreundet, und ich hatte ihm ja auch fast die Wahrheit gesagt. Ich hatte nur das Gefühl, daß ich es vielleicht besser nicht getan hätte.
»Man hat mich um größte Verschwiegenheit gebeten«, antwortete ich deshalb.
Er lachte. »Genau wie bei unserem Mann. Aber ich glaube, es ist erlaubt, daß ich dir sage, was wir ihm antworteten. An das Wichtigste kann ich mich noch erinnern. Skriabin, Nikolaj Wiktorowitsch, achtundfünfzig Jahre alt, studierte am Moskauer Institut für Geschichte, Philosophie und Literatur. Wurde zweiunddreißig in die Partei aufgenommen, ging später in den diplomatischen Dienst. Während des Zweiten Weltkriegs Soldat, irgendwie bei der Spionageabwehr. Ausgezeichnet unter anderem mit dem Leninorden. In den letzten Jahren wieder im diplomatischen Dienst im Haag, in Brüssel und Kopenhagen. Sein höchster diplomatischer Rang war der eines Ersten Botschafts-Sekretärs. An die Osloer Handelsmission wurde er erst im vergangenen Jahr versetzt. Eine Beförderung scheint das allerdings nicht gewesen zu sein.«
»Nein.«
»Sein Lebenslauf scheint darauf hinzudeuten, daß er gegenwärtig kein Diplomat
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