Das Intercom-Komplott
mehr ist, daß er wahrscheinlich auch während der letzten Jahre keiner mehr war. Wir hier sind der Ansicht, daß er Offizier der Auslandsabteilung des Sowjetischen Büros für Staatssicherheit ist – des Komitet Gosudarstvennoi Bezopastnosti (KGB) – und daß er nur deshalb an der Handelsmission arbeitet, weil ihm dies als beste Tarnungsmöglichkeit erscheint. Wenn man nach seinen zahlreichen Auszeichnungen urteilen will, muß er etwa im Rang eines Obersten stehen. Wahrscheinlich ist er ein wichtiger Mann, vielleicht sogar Abteilungsleiter.«
»Oh.«
»Das mit dem KGB würde ich deinem Generalkonsul nicht auf die Nase binden. Solche Dinge sollen die schon allein herausbekommen.«
»Ja. Danke. Du hast mir sehr geholfen.«
Für das Wochenende lud er mich noch zum Essen ein, und um ihn zunächst einmal loszuwerden, sagte ich zu. Die Verabredung vergaß ich dann leider, weil sich bis dahin so viel ereignete.
Sie sehen also, Mr. Latimer, es war alles sehr verwirrend – jedenfalls für mich. Von Anfang an war ich davon überzeugt, daß mein Vater auf der falschen Fährte war. Er bildete sich ein, dieser Skriabin sei ein armer, bedauernswerter Mann, ein kleines Rädchen im großen Getriebe, der von Bloch überredet worden war, technische Geheimnisse zu verkaufen. Von Bloch dagegen vermutete er, er habe ihn sich dadurch vom Halse schaffen wollen, daß er ihn in Intercom bloßstellte.
Was aber dahintersteckte, begriff ich einfach nicht. Wenn man von jemandem technische oder irgendwelche andere Geheimnisse erhält, Informationen, die man zu Geld machen möchte, und wenn man den Informanten um seinen Verdienst bemogeln will, könnte man vielleicht seine Vorgesetzten darüber unterrichten, daß er ein Verräter ist, aber man veröffentlicht dann nicht gleichzeitig das, was man durch ihn erfahren hat. Das wäre einfach idiotisch. Da ich nun aber wußte, daß Skriabin alles andere war als ein kleines Rädchen im großen Getriebe, wurde die Angelegenheit noch verzwickter. Bloch, unehrlich und Motor des Ganzen, würde doch sicherlich seinen Konkurrenten keine wertvollen Informationen preisgeben; Bloch als neuer, stolzer Besitzer des antikommunistischen Intercom hingegen würde mit größter Wahrscheinlichkeit alles andere tun, als den Namen eines Mannes verraten, der für ihn als Agent innerhalb des KGB arbeiten könnte, so daß die Russen ihn in die Sowjetunion zurückbeordern, ehe er sich aus dem Staub machen konnte. Solange ich auch darüber nachdachte, nichts paßte zusammen.
Ich wußte auch nicht, was ich meinem Vater sagen sollte. War es ratsam, ihn darüber zu unterrichten, was ich über N. W. Skriabin erfahren hatte, oder sollte ich es ihm verschweigen? Schließlich entschloß ich mich, zunächst einmal abzuwarten und festzustellen, in welcher Laune er war.
Meine privaten Recherchen hatten mich so viel Zeit gekostet, daß ich mit meiner normalen Arbeit in Verzug gekommen war und an diesem Abend erst sehr spät nach Hause zurückkehrte. Als ich die Wohnung betrat, merkte ich, daß wir Besuch hatten. Auf einem Stuhl im Flur hingen die Mäntel und Hüte unserer Gäste. Ich ging nicht sofort in das Wohnzimmer. Unangemeldet suchte uns nur selten jemand heim – die Schweizer sind in solchen Dingen sehr korrekt und förmlich –, und ich war ziemlich sicher, daß es sich um Ausländer handeln müßte. Mänteln und Hüten war nicht anzusehen, woher sie kamen, und das Stimmengewirr, das aus dem Zimmer drang, konnte ich nicht verstehen. Aber neben dem Stuhl stand ein Diplomatenkoffer, der sehr amerikanisch wirkte, und außerdem sah ich noch eine Tragtasche aus weichem Leder, wie Berufsfotografen sie oft benutzen. An den Griffen beider Gepäckstücke waren Anhänger der Air France befestigt. Wahrscheinlich also Amerikaner aus Paris.
Ich hatte einen anstrengenden Tag hinter mir und hoffte inständig, daß mein Vater, der mit etwas Alkohol nur zu leicht zu gastfreundlich wurde, sie nicht zum Abendessen einladen würde. Ich ging in mein Zimmer, um mir noch einmal mit dem Kamm durch die Haare zu fahren, ehe ich mich zu ihnen gesellte.
Der eine der beiden war hochgewachsen, der andere eher klein. Als ich ins Zimmer kam, war es der Kleine, der die Unterhaltung bestritt.
»Aber ist die harte Methode mittlerweile nicht ein wenig aus der Mode gekommen?« fragte er. »Ich meine …«
In diesem Augenblick sah er mich, brach mitten im Satz ab und stand auf.
Er war ein rothaariger, stämmiger Vierziger mit einem runden,
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