Das Intercom-Komplott
einen Umweg machen sollte, um sicher zu sein, ob sie tatsächlich mich verfolgten oder ob ich es mir nur einbildete. Aber dann ließ ich es doch sein.«
»Warum?«
»Ich wußte eben, daß ich es mir nicht einbildete.« Er lächelte ein wenig. »Außerdem – hätte ich einen Umweg gemacht, hätten sie gewußt, daß ich sie bemerkt hatte. Denn wäre mir nicht aufgefallen, daß sie im Halteverbot parken, ich hätte sie bestimmt nicht bemerkt. Ich hätte überhaupt keine Notiz von ihnen genommen.«
»Aber warum sind sie dir nur nachgefahren? Und wer war es eigentlich gewesen?«
»Genau das ist es, was ich selbst herausbekommen wollte.« Er stand auf und holte sich seinen Whisky vom Sideboard. »Ich weiß nur das eine: es gibt jemanden, der wissen will, wo ich wohne. Im Telefonbuch ist meine Adresse nicht verzeichnet, darum folgte man mir also, als ich das Büro verließ. Und nachdem ich meinen Wagen abgeschlossen hatte und im Haus verschwunden war, warteten die beiden ein paar Minuten; dann kam einer herüber und sah sich die Namen auf den Briefkästen an. Auftrag erfolgreich ausgeführt, Abfahrt.« Er trank sein Glas in einem Zuge leer. »Wer sind die beiden? Was wollen sie? Ich habe nicht die geringste Ahnung. Im Bureau des Étrangers bin ich gemeldet. Die Polizei weiß, wo ich lebe, man weiß, was ich treibe.« Er reichte sein leeres Glas über den Tisch. »Willst du mir bitte noch einmal nachgießen, Valerie?«
»Aber natürlich.« Er war offenbar sehr müde, und ich versuchte immer, ihn früh ins Bett zu bekommen, wenn er lange gearbeitet hatte. An einem anderen Tage hätte ich jetzt das Geschirr abgeräumt und abgespült und wäre dann in mein Zimmer gegangen. Meistens legte er sich danach auch bald hin. Aber an diesem Abend glaubte ich nicht, daß er es tun würde. Wenn er über etwas nachgrübelte, blieb er oft auf und trank noch eine Weile.
Und ich selbst hatte auch den Kopf voll.
Ich goß ihm also noch einen Whisky ein und schob ihn zu ihm hinüber. »Wer ist denn eigentlich dieser Genosse Skriabin?« fragte ich.
Und dann erzählte er mir von diesen SESAM-Bulletins.
Ich hatte Intercom schon immer gehaßt. Woche um Woche, Monat um Monat solches Gift zu verspritzen, tat meinem Vater nicht gut. Oh, ich weiß genau, daß mein Vater kein Wort von dem glaubte, was er da schrieb, daß er letztlich heuchelte. Er entschuldigte sich selbst damit, daß dies alles eigentlich nur Theater sei. Manchmal sagte er ganz offen, daß das, was er mit dem alten Ekel Novak tat, nichts anderes sei, als vor einem schwachköpfigen Auditorium den Tartuffe zu spielen; und doch klang das nie so richtig überzeugend, und besonders dann nicht, wenn er es mir sagte. Die Wahrheit war wohl eher, daß die Arbeit für Intercom für ihn zur Auseinandersetzung mit der Welt überhaupt wurde – aber er verlor dabei seine Selbstachtung.
Ich war eigentlich froh, als der General starb, und es sah tatsächlich so aus, als ob Intercom am Ende sei. Natürlich war mir dabei klar, daß es meinem Vater nicht leichtfallen würde, eine neue Stelle zu finden. Darum schlug ich ihm ja auch vor, ein Übersetzungsbüro aufzumachen. Ich war sicher, daß es klappen würde; zumindest wäre er so sein eigener Herr. Es hatte zwar mit dem Journalismus nicht viel zu tun, aber das konnte man ja von Intercom auch nicht behaupten, es sei denn, man wolle jeden richtigen Journalisten beleidigen. Ich war gar nicht glücklich, als er mir von dem Mann aus München erzählte, der Intercom kaufen wollte, um es weiterzuführen wie bisher.
Doch nicht so unglücklich wie an dem Abend, als er mir über die SESAM-Bulletins erzählte – und als man ihn verfolgt hatte. Von Anfang an, seit den ersten Verhandlungen mit diesem Arnold Bloch, hatte ich gewußt, daß Dr. Bruchner wie mein Vater sich allein vom Wunschdenken hatten leiten lassen. Was ich damals freilich noch nicht erfahren hatte, war, daß sie beide tatsächlich überhaupt nichts über diesen Mann wußten.
In jener Nacht schlief ich nicht besonders gut. Und am nächsten Tag nahm ich das Skriabin-Bulletin mit in die Bibliothek, um mich damit ein wenig zu beschäftigen.
Das erste, was ich dabei herausbekam, war, was man daran entweder negativ oder positiv beurteilen konnte: daß nämlich auf die technische Beschreibung dieses Seismographen überhaupt nicht eingegangen wurde. Wenn es hier um wirkliche, um ernstzunehmende Informationen ging, dann hatte N. W. Skriabin Schlimmes zu erwarten; wenn es aber andererseits
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