Das Intercom-Komplott
er nicht an einer zu verwegenen Phantasie. Ich sage damit nicht, daß er nicht vielleicht einen Psychiater nötig hätte, M. Latimer. Typisch für ihn ist zum Beispiel, daß er Sie Mr. L. nennt. Das ist nichts anderes als Selbstverteidigung. Er bildet sich ein, er würde Ihnen einen gewissen Vorsprung geben, wenn er Sie mit Ihrem korrekten Namen nennt. Mit vielen anderen, die er beneidet hat, tat er es ähnlich. O ja, ich weiß genau, daß er auf Sie neidisch ist. Er bewundert Sie, weil Sie Ihre Bücher geschrieben haben. Sehen Sie, ich liebe meinen Vater, aber ich glaube nicht, daß ich ihn vergöttere. Er ist ein netter, cleverer, unglücklicher Mann, der im einen Augenblick lustig und amüsant sein kann, um im nächsten Moment unsagbar widerlich zu werden. Doch selbst wenn er so widerlich ist, hat er keinen ernsthaften Tick. Er hat eine lebhafte Einbildungskraft, aber er sieht keine rosaroten Elefanten, keine Dinge, die es nicht gibt.
Ich ging also ans Fenster und sah hinunter auf die Straße.
Unsere Wohnung liegt in der dritten Etage, wie Sie wissen, aber man kann die Straße nur dann überblicken, wenn man das Fenster öffnet und sich hinauslehnt. Weil die Nacht recht kühl war, hatte ich dazu keine Lust. Ich drückte nur meine Nase gegen die Scheibe.
Aber es genügte, daß ich sah, was es zu sehen gab: schräg gegenüber parkte tatsächlich ein Fiat. Er war natürlich nicht besonders auffallend; er stand zwischen anderen Wagen, die zum größten Teil den Bewohnern des Hauses gegenüber gehörten. Vom Wagendach meines Vaters konnte ich nur ein wenig erkennen; sein Renault parkte genau vor unserer Haustür. Aber als ich genauer hinsah, beobachtete ich einen Mann, der zuerst neben dem Wagen meines Vaters stand, dann die Straße überquerte und zu dem Fiat lief. Er trug einen Filzhut und einen dunklen Mantel. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen, als er mit langen Schritten wegging. Er öffnete die Tür zum Beifahrersitz und stieg ein. Als sich das Innenlicht einschaltete, sah ich einen Augenblick lang die behandschuhte Hand des Mannes auf dem Fahrersitz. Dann wurde der Motor angelassen, die Scheinwerfer leuchteten auf.
»Sie fahren«, sagte ich. Und ich erzählte ihm, was ich gesehen hatte.
Mein Vater aß seine Suppe weiter. »Hast du die Nummer erkennen können?«
Der Fiat fuhr jetzt langsam an. »Nein, aber ich glaube, es ist ein Wagen aus Fribourg.«
»Das sind sie.«
Ich ging zum Tisch zurück und nahm ihm gegenüber Platz. »Woher wußtest du, daß sie dich verfolgen?« fragte ich.
»Purer Zufall.« Er zuckte die Achseln. »Der Wagen fiel mir auf, als ich aus dem Büro kam, weil er falsch geparkt war. Ich dachte an den langen Weg bis zu meinem Wagen und wünschte in einem unfrommen Augenblick, daß jetzt ein Polizist erscheinen und dem Knaben einen Strafzettel verpassen sollte. Leider tauchte kein Polizist auf. Als ich weiterging, konnte ich ihn ständig im Auge behalten, weil er sich in den Schaufensterscheiben spiegelte. Und als ich kurz vor der Straßenecke war, sah ich, wie der Beifahrer ausstieg und mir nachging.«
Er brach sich ein Stück Brot ab und aß ein paar Löffel Suppe.
»Ich machte mir keine weiteren Gedanken darüber, bis ich auf der Brücke war. Denn dort überholte mich dieser Fiat mit der Fribourger Nummer. Er fuhr ziemlich schnell. Aber nicht lange. Als ich den Hügel zur Kirche St. Gervais hinaufging, sah ich, wie er wieder am Straßenrand parkte. Der Fahrer stieg nicht aus, sondern blieb einfach im Wagen sitzen. Ich dachte, er überlegte vielleicht, wohin der Beifahrer gegangen sein könnte. Du siehst also, daß ich schon dort auf den Kerl aufmerksam wurde. Als ich schließlich zu meinem Wagen kam, fuhr ich nicht sofort ab. Ich sah in den Rückspiegel. Und was ich dabei beobachtete, war einigermaßen interessant. Als ich die Straße entlanggegangen war, hatte dort kein Wagen gestanden, dessen Scheinwerfer brannten. Aber jetzt hatte einer von ihnen das Licht eingeschaltet. Ich war mir natürlich nicht sicher, ob es der Fiat war, das ist klar – ich sah eben nur zwei Scheinwerfer. Aber dann tauchte vom Bürgersteig her ein Mann auf und setzte sich neben den Fahrer. Das immerhin konnte ich genau erkennen.«
»Weil das Innenlicht anging, als er die Tür aufmachte?«
»Genau. Wie kommst du darauf?«
»Weil ich es gerade auch gesehen habe, als die beiden abfuhren.«
»Sie waren mir während des ganzen Heimwegs auf den Fersen. Im ersten Augenblick überlegte ich, ob ich nicht
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