Das Intercom-Komplott
ließ mich fast an die Zimmerdecke springen. Bis zu diesem Augenblick hatte ich Herrn Bloch für jemanden gehalten, der mit mehr oder weniger ungezinkten Karten spielt. Zwei der bisher gedruckten SESAM-Bulletins hätten leicht als Versuche durchschaut werden können, die Auftragsvergabe von Regierungsstellen zu beeinflussen; ob es nun in dieser oder in einer anderen Richtung geschah, so konnten doch die Interessen seiner Auftraggeber dahinter stecken. Die Geschichte über den Raketentreibstoff war schon schwieriger einzuordnen, aber das hätte ich durch mein geringes Wissen auf diesem Gebiet und durch meine beschränkten Einsichtsmöglichkeiten in die Hintergründe erklären können. Wenn man über russische Treibstoffprobleme sprach, war es immerhin denkbar, daß man dadurch die Aufmerksamkeit auf eigene Schwierigkeiten lenken wollte. Es hätte sein können, daß einer der Geschäftsfreunde Blochs dieses Problem technisch im Griff hatte, und Bloch hatte diesen Umweg gewählt, den betroffenen Dienststellen seinen Mann zuzuspielen.
Bei Bulletin vier freilich gab es einfach keine derartige Erklärung. Ich hatte den Eindruck, daß er damit nichts anderes wollte, als dem Genossen Skriabin eins auszuwischen.
Ich grübelte eine Weile darüber nach und entschloß mich schließlich, den Text bestätigen zu lassen. Das Telegramm, das ich dann nach München schickte, lautete:
SESAM - BULLETIN VIER . BEZWEIFLE UEBEREINSTIMMUNG MIT INTERCOMPOLITIK . FRAGE : SINNVOLL , DASS INFORMATIONSQUELLE WIE IM TEXT PREISZUGEBEN IST ? BITTE UM ANWEISUNGEN .
Achtundvierzig Stunden lang hörte ich nichts. Dann kam ein Telegramm aus Brüssel:
SESAM - BULLETIN VIER VOLLSTAENDIG UND UNVERAENDERT VEROEFFENTLICHEN
Ich tat, wie mir geheißen.
Aber von diesem Tag an mochte ich Herrn Bloch gar nicht mehr. Alle meine Sympathien lagen auf Seiten N. W. Skriabins. Ich hatte das Gefühl, daß er bei einem äußerst trüben Geschäft den kürzeren gezogen hatte.
Und es dauerte nicht lange, bis ich zu argwöhnen begann, daß es um mich nicht viel anders stand.
Donnerstags, wenn Intercom erschien, ging es bei uns immer sehr lebhaft zu; Adressograph und Vervielfältigungsmaschine lärmten, die Aushilfskräfte, die uns beim Falten, Kuvertieren und Frankieren halfen, unterhielten sich mit lauter Stimme, aber mein schlimmster Arbeitstag war dennoch der Montag, Redaktionsschluß für Intercom . Montags verließ ich das Büro kaum einmal vor zehn Uhr.
Morgens parkte ich meinen Wagen meistens in einer Nebenstraße nahe der Kirche St. Gervais und ging dann über die Rhonebrücke zu Fuß zu meinem Büro. Einen günstigeren Parkplatz konnte ich nur selten finden. Wenn ich nun abends zu meinem Wagen zurückging, herrschte auf der Brücke kein starker Verkehr mehr, und auch die Straßen auf der anderen Seite waren einigermaßen menschenleer.
Ich weiß nicht, wann man anfing, mich zu überwachen, ich weiß auch nicht, wer damit begann, aber es war am Montag abend – Montag, der 12. Dezember, gerade sechs Tage nach der Veröffentlichung des SESAM-Bulletins vier –, als ich zum erstenmal merkte, daß jemand mir folgte.
KAPITEL 4
VALERIE CARTER
Niederschrift eines auf Band aufgenommenen Interviews.
Ich erinnere mich noch sehr gut an diesen Abend.
Mein Vater kam nach Hause, schenkte sich wie immer einen Whisky ein und vergaß dann, ihn zu trinken.
Wenn er abends sehr lange im Büro zu tun hatte, kochte ich ihm meistens eine Suppe, die ich warmstellte; so eine Art pot-au-feu mit vielen Gemüsen, die er gern aß. Als ich an diesem Abend die Suppe auftrug, sah ich, daß sein Glas noch immer unberührt auf dem Tisch stand. Er hatte sich ans Fenster gelehnt und starrte hinunter auf die Straße.
»Ich komme mir vor wie Genosse Skriabin«, sagte er.
Weil ich nicht wußte, von wem er sprach, sagte ich ihm nur, er solle seine Suppe essen, solange sie noch warm war.
Er kam herüber an den Tisch und setzte sich. Dann sah er mich an und lächelte, als müsse er sich für irgend etwas entschuldigen. »Wenn ich nicht restlos verrückt bin, glaube ich, daß man mich heute verfolgt hat, seit ich das Büro verließ. Zwei Männer in einem Fiat 124. Ich nehme an, daß sie immer noch draußen sind. Willst du einmal nachsehen? Vielleicht kannst du sie entdecken.«
Nun weiß ich zwar, daß man meinem Vater nicht immer alles glauben muß, und vor allem dann nicht, wenn er etwas getrunken hat, aber er ist alles andere als dumm, und ganz gewiß leidet
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