Das Ist Mein Blut
noch mehr Zeit als für die des ersten, doch schließlich schüttelte er mit einem leichten Zögern den Kopf. »Ich kenne ihn nicht, das kann ich mit Sicherheit sagen. Es ist möglich, dass ich das Gesicht schon einmal gesehen habe, aber … ich kann mir Gesichter von Fremden nicht besonders gut merken, ehrlich gesagt.«
In diesem Augenblick ging die Tür auf und ein junger Polizist in Uniform kam, ein Blatt schwenkend, herein, und sagte laut, ohne auf eine Aufforderung zu warten: »Dietmar Kronauer, 41 Jahre, Journalist aus Nürnberg. Er hatte keine Papiere bei sich, aber seinen Presseausweis in der Jackentasche. Und«, fügte er hinzu, obwohl die Mienen seiner beiden Kollegen sich verfinstert hatten, »einen Autoschlüssel.«
»Danke, Friedolin«, zischte Sailer durch zusammengebissene Zähne. »Schon mal was von Anklopfen gehört? Und davon, nicht vor Außenstehenden mit Informationen herauszuplatzen?«
Der junge Mann wurde rot, warf einen Entschuldigung heischenden Blick auf Eva, deren Gesicht allerdings noch weniger Aussicht auf Verständnis erkennen ließ, und zog sich unter leisem Gemurmel zurück.
»Tut mir leid«, entschuldigte sich Pfarrer Römer, dem die Szene sichtlich peinlich war. »Ich sollte besser gehen, damit Sie weiterarbeiten können. Wenn ich noch irgendwie behilflich sein kann, rufen Sie mich an.« Er zögerte, den Blick auf das Bild des Abendmahlsbechers gerichtet. »Ich nehme an, dass es dauern wird, bis die Kirche den Kelch zurückbekommt, oder? Wäre es vielleicht möglich, einen Abzug des Fotos zu erhalten?«
Eva sah ihn scharf an. »Warum denn das?«
»Privates Interesse, Eva«, antwortete Römer ein wenig zerstreut. »Mir ist jetzt erst aufgefallen, wie eigentümlich dieser spezielle Kelch ist und dass ich keine Ahnung habe, woher er stammt. Siehst du, anders als der Rest unseres Abendmahlsgeräts, das aus der Paramentik in Neuendettelsau stammt, und, nun ja, das alles dort ist gewissermaßen Werkstattanfertigung, ist dieser Kelch ganz offensichtlich ein Einzelstück. Ich wüsste gerne mehr darüber.«
»Parawas?«, wollte Rainer wissen.
»… mentik. Paramentik. Die Ausstattung des gottesdienstlichen Raumes – Altartücher, Kreuze und so weiter. Heutzutage wäre es viel zu teuer, diese Dinge von einzelnen Handwerkern anfertigen zu lassen. Das meiste von dem, was wir für die Kirchenausstattung brauchen, kommt aus Neuendettelsau. Aber es gibt in einigen Kirchen noch Einzelstücke, die Hunderte Jahre alt – und entsprechend wertvoll – sind.«
»Du meinst, dieser Kelch könnte auch dazu gehören?«, wollte Eva wissen. Pfarrer Römer schüttelte langsam den Kopf. »Wenn er richtig alt und wertvoll wäre, wüssten wir das. Und so viel Glück hat man hier in der Provinz meist nicht. Aber er könnte trotz allem mehr zu erzählen haben, als wir wissen.«
Eva reichte ihm drei Fotos, zwei zeigten den ganzen Kelch von je einer Seite, das dritte bildete die vergrößerte Inschrift um den Rand ab. »Wenn er dir erzählt, weshalb er im Zusammenhang mit einem Mord stehen könnte, wüsste ich das gern«, meinte sie trocken.
»Mord«, wiederholte Römer bestürzt.
»Ich begleite Sie hinaus«, bot sich Rainer an und stand auf. Als die beiden die Treppe hinunter zum Hauptausgang stiegen, sagte er: »Wir halten Sie auf dem Laufenden, falls wir etwas über die anderen gestohlenen Gegenstände erfahren. Ich werde ein Auge auf die einschlägigen Märkte, einschließlich eBay , halten.«
Der Pfarrer lachte leise. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie da fündig werden. Abendmahlsgerät lässt sich nicht so ohne weiteres verkaufen, in der Hinsicht ähnelt es berühmten Gemälden. Ich meine, Sie stellen sich wohl kaum mal eben eine Hostienschale ins Wohnzimmer, weil sie so schön aussieht.«
»Sie haben noch nie über eBay gehandelt, oder?«, gab der Polizeibeamte zurück. »Im Internet lässt sich so gut wie alles verkaufen.«
»Ah«, machte Römer nur – es klang wie ein Eingeständnis völliger eBay -Unerfahrenheit. »Wahrscheinlich haben Sie Recht. Allerdings – wenn unser gestohlenes Gerät tatsächlich irgendwie mit einem Mord zusammenhängt, dann wäre es ziemlich bedeutsam für Ihre Ermittlung, wenn es auf diesem Wege wieder auftauchen sollte, oder?«
»Ganz richtig, Herr Römer.« Rainer zauderte einen Moment, immerhin war der andere Mann eine Dekade älter und außerdem Pfarrer. Aber dann stählte er sich und sagte eindringlich: »Vergessen Sie das bitte nicht, wenn Sie sich
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