Das ist nicht wahr, oder?
schrie überrascht auf. Er musterte mich und Jean-Louise mit Widerwillen. »Nicht schimpfen«, murmelte ich kleinlaut und drückte den Alligator beschützend an mich. »Wir haben nur einander.«
Victor schüttelte den Kopf, sagte aber nichts und ging stumm zur Kasse, um zu zahlen. Jean-Louise beugte sich vor und flüsterte
»Merci, mon cher«,
aber Victor hielt dem verwirrten Kassierer nur seine Kreditkarte hin. Er spricht kein Französisch.
»Ich werde ihm als Ersatz für die fehlende Hand einen kleinen Haken basteln«, erklärte ich beim Hinausgehen. Jean-Louise war so spröde und brüchig, dass ich ihn nicht im Koffer verstauen wollte, also steckte ich ihn in die Handtasche. Victor beharrte darauf, dass man mich mit einem toten Alligator niemals ins Flugzeug lassen würde. Ich widersprach und sagte, er wäre doch nicht bewaffnet und eine Hand fehle ihm auch noch, aber die kleinen, blitzenden Zähne sagten etwas anderes und ich musste an den Nagelknipser denken, den wir bei der Sicherheitskontrolle einmal hatten wegwerfen müssen. Also zog ich Fachleute zu Rate (meine Follower auf Twitter).
Um es kurz zu machen, wenn du Leute auf Twitter fragst, ob es erlaubt ist, einen kleineren, ausgestopften Alligator ins Flugzeug mitzunehmen, antworten die meisten: »Äh, nein. Das geht nicht mal mit Muttermilch.« Du erklärst dann, dass der Alligator schon mindestens fünfzig ist und Kleider trägt und dass ihm eine Hand fehlt, und daraufhin ändern einige ihre Meinung, aber die meisten bleiben dabei, dass er trotzdem als Waffe gilt. Du schreibst: »Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand ernsthaft glauben kann, ich wollte nur mit einem kleinen, Kleider tragenden Alligator als Waffe ein Flugzeug entführen«, und darauf antworten alle sofort: »Wirklich nicht? Kennst du dich? Denn das klingt absolut nach etwas, das du tun könntest.« Womit sie nicht unrecht haben.
Aber ich machte mir trotzdem keine wirklichen Sorgen. Erst als wir schon an der Sicherheitskontrolle anstanden, fragte ich mich plötzlich, ob vor fünfzig Jahren womöglich jemand in diesem Alligator Kokain geschmuggelt und danach vergessen hatte, es herauszunehmen. Dann würde ich jetzt auf dem Flughafen verhaftet wegen Kokain, das älter war als ich und im Magen eines bröseligen Alligators steckte. Ich fragte Victor leise, ob man erkennen könnte, ob Kokain schon abgelaufen wäre,oder ob es immer frisch bleiben würde, und er flüsterte alarmiert: »LASS UNS DARÜBER BITTE NICHT BEI DER SICHERHEITSKONTROLLE SPRECHEN.« Darauf ich: »Aber ich frage doch nicht wegen mir, sondern wegen dem Alligator.« Victor funkelte mich nur böse an. Ich holte tief Luft, um mich zu beruhigen, und stellte mir vor, wie ich zu dem Sicherheitsbeamten sagte: »Ach das? Das ist altes Kokain. Es ist wahrscheinlich schon vor vierzig Jahren abgelaufen. Es gehört auch gar nicht mir, sondern dem Alligator. Und ich bin ja nicht verantwortlich für das ausschweifende Leben eines Alligators, zu dessen Lebenszeit ich noch gar nicht geboren war. Außerdem kennt er die hiesigen Bestimmungen nicht. Er kommt aus Kuba.« Ich war überzeugt, der Beamte würde das verstehen. Und ein gewisses Risiko geht man immer ein, wenn man einen toten Alligator an Bord eines Flugzeugs mitnimmt.
Natürlich kamen Jean-Louise und ich anstandslos durch die Kontrolle und niemand wunderte sich über den Alligator auf dem Laufband. Victor dagegen wurde komplett durchsucht. Wahrscheinlich weil er schwitzte und die Ader auf seiner Stirn hervortrat. In dem dadurch entstehenden Durcheinander passierten Jean-Louise und ich die Kontrolle völlig ungehindert. Victor konnte von diesem Alligator wirklich eine Menge lernen.
Als wir dann endlich im Flugzeug saßen, öffnete ich Victors Klapptisch und setzte Jean-Louise darauf, damit er nach draußen sehen konnte. »Nimm das verdammte Teil von meinem Tisch«, zischte Victor.
»Aber er ist noch nie geflogen«, erklärte ich.
»Voulez-vous le
Fensterplatz?«, fragte Jean-Louise freundlich.
Victor durchbohrte mich mit einem Blick. »Ich meine es ernst. Die werfen uns aus dem Flugzeug.
Nimm ihn weg.«
»Sei nicht albern«, sagte ich. Der Mann auf der anderenSeite des Mittelgangs betrachtete Jean Louise verblüfft, also drehte ich mich zu ihm.
»Votre chemise est muy bueno«,
sagte Jean-Louise selbstbewusst. Der Mann starrte ihn mit leicht geöffnetem Mund an.
»Er sagt, er mag Ihr Hemd«, übersetzte ich. Victor stützte den Kopf in die Hände. »Wenn ich deshalb
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