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Das Jagdgewehr

Das Jagdgewehr

Titel: Das Jagdgewehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasushi Inoue
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würden? Das Gewehr war natürlich nicht geladen, aber es fesselte mich, Ihnen zuzusehen, um herauszufinden, ob Sie mich zu töten wünschten. Dann aber setzte ich eine gleichgültige Miene auf und schloß beide Augen.
    Zielt er wohl, überlegte ich, auf meine Schulter, meinen Hinterkopf oder meinen Nacken?
    Ungeduldig wartete ich darauf, daß nun, jeden Augenblick, das Klicken des Abzugshahnes kalt die Stille des Raumes durchbrach. Aber soviel Zeit auch hinging, es war nichts zu hören. Ich hatte beschlossen, mich, falls ich dieses Klicken vernahm, wie in einem Ohnmachtsanfall auf den Boden fallen zu lassen. Ich war in meinem Innern darauf vorbereitet, als sei dies seit Jahren das heiß ersehnte Ziel meines Lebens gewesen.
    Doch dann verlor ich schließlich die Geduld, öffnete heimlich die Augen und sah, daß Sie noch immer auf mich zielten. Geraume Zeit saß ich noch so da. Plötzlich aber kam mir das Ganze lächerlich vor, und ich bewegte mich ein wenig. Gleichzeitig blickte ich nach Ihnen, nicht nach Ihrer Spiegelung in der Glastür, – und da nahmen Sie schnell die Mündung der Flinte herab und zielten auf die Rhododendren, die Sie vom Amagi-Berg hierher verpflanzt hatten, und die nun in diesem Jahre zum ersten Mal aufgeblüht waren. Schließlich drückten Sie auf den Abzug. Warum erschossen Sie Ihr treuloses Eheweib denn nicht? Ich hätte es wahrhaftig verdient! Sie hatten so brennend Lust, mich zu ermorden, und doch berührten Sie den Abzug nicht! Hätten Sie es getan, meine Untreue nicht so schwächlichen Herzens verziehen, sondern Ihren Haß mitten in mein Herz geschossen, wäre ich Ihnen wohl, höchst unerwartet, an die Brust gesunken. Oder aber ich hätte Ihnen vorgeführt, wie geschickt ich selber im Schießen war. Nun, Sie handelten jedenfalls nicht, und so nahm ich meine Blicke von den Rhododendren fort und ging mit Schritten, die schwankender als nötig waren, in mein Zimmer, wobei ich die Melodie ›Unter den Dächern von Paris‹ sorglos vor mich hin summte.
    Dann verstrichen wieder einige Jahre, ohne daß ein ähnlicher kritischer Augenblick unsere Ehe auf die eine oder andere Weise beendet hätte. In diesem Herbst jetzt besaßen die Blüten der Indischen Lagerströmie das erregendste Rot, das ich je an ihnen gesehen habe. Ich ahnte, daß sich irgend etwas Ungewöhnliches ereignen würde, und diese Vorahnung war fast eine sehnsüchtige Erwartung.
    Am Tag vor Saiko-sans Tod ging ich zum letzten Mal zu ihr, um mich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Und da sah ich, nach mehr als zehn Jahren, unerwartet den selben Haori aus graublauer Yuki-Seide, den vor langer Zeit die glitzernde Morgensonne in Atami wie einen bösen Traum in die Retina meiner Augen eingebrannt hat. Eben dieser Haori mit seinen deutlichen und großen, violetten Distelblüten hing nun schwer von den schwächlichen Schultern Ihrer durch die lange Krankheit erschöpften Geliebten. »Oh, wie wunderschön!« rief ich aus, als ich in ihr Zimmer trat, und dann nahm ich irgendwo Platz, um mich zu beruhigen. Doch kaum versuchte ich, darüber nachzudenken, warum Saiko-san ihn gerade heute, vor meinen Augen, trug, fühlte ich, wie mein Blut gleich einem unzähmbaren, heißen Strom durch meinen ganzen Körper rauschte. Ich wußte genau, daß jetzt alle Selbstbeherrschung nichts mehr fruchtete. Die freche Untat einer Frau, die eine andere, eben erst angetraute ihres Ehemanns beraubt hat, und auch das schreckliche Gefühl der Unterlegenheit eben dieser Ehefrau von zwanzig Jahren mußten eines Tages vor einem Gerichtshof einander gegenübergestellt werden. Offenbar war dieser Zeitpunkt nun gekommen. Ich nahm mein Geheimnis hervor, das ich länger als zehn Jahre sorgsam gehütet hatte, und legte es auf die violetten Disteln des Haori-Gewandes.
    »Dies ist doch ein Haori mit Erinnerungen, wie?«
    Mit einem kurzen, kaum vernehmbaren Ausruf der Überraschung wandte sich Saiko-san mir zu. Ich schaute ihr fest mitten in die Augen, nicht einen Millimeter wich mein Blick ihr aus. Wegsehen, das wäre ihre Pflicht gewesen!
    »Du trugst es doch damals, als du mit meinem Mann in Atami warst? Ich habe alles gesehen – an jenem Tag!«
    Wie ich es nicht anders erwartet hatte, begann aus ihrem Gesicht, während ich sie still beobachtete, alle Farbe zu weichen, und dann bemerkte ich, wie die Muskeln um ihren Mund, der irgend etwas zu sagen versuchte, in häßliche Zuckungen gerieten. Ja, wirklich, ich fand das ekelerregend! Sie war völlig außerstande, auch nur

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