Das Jagdgewehr
eine Silbe hervorzubringen, und sie senkte ihren Blick auf ihre weißen Hände, die auf den Knieen lagen. Da durchströmte mich plötzlich eine herrliche Frische, als stände ich unter einer Dusche; mir war, als hätte ich all diese Jahre nur existiert, um diesen Augenblick noch zu erleben. In einem Winkel meines Herzens aber empfand ich unsagbare Traurigkeit, denn nun ahnte ich unausweichlich eine der beiden möglichen Krisen, die unsere Ehe beenden würde. Lange Zeit saß ich so da. Ich brauchte nichts weiter zu tun, als einfach dazusitzen. Wie aber muß sich Saiko-san glühend danach gesehnt haben, meinen Blicken zu entrinnen!
Nach einer Weile konnte sie ihr bleiches Gesicht wieder erheben, und dann schaute sie mir fest in die Augen. Plötzlich wußte ich, daß ihr Leben sehr, sehr bald zu Ende war. Gerade in diesem Augenblick muß der Tod in sie hineingesprungen sein. Sonst hätte sie mich nicht so ruhig ansehen können. Im Garten draußen war es einmal dunkel, dann wieder hell. Das Klavierspiel im Nachbarhaus war verstummt.
»Schon gut. Ich nehme es dir nicht weiter übel. Ich übergebe dir Misugi jetzt noch einmal.«
Mit diesen Worten erhob ich mich und holte die weißen Rosen, die ich für sie mitgebracht hatte, und die in der Veranda lagen. Ich tat sie in eine Vase auf dem Bücherbord und ordnete sie ein wenig, dann betrachtete ich noch einmal den schmalen Nacken von Saiko-san, die mit hängendem Kopf dasaß. Während ich noch überlegte, daß ich wohl heute zum allerletzten Male so bei ihr saß (was für eine furchtbare Vorahnung!), fügte ich hinzu: »Mach dir nichts daraus. Auch ich habe dich länger als zehn Jahre betrogen! Nun sind wir quitt!«
Ich mußte plötzlich laut auflachen. Saiko-sans Schweigen war immerhin zu bewundern. All die Zeit über hatte sie wortlos dagesessen, als hielte sie den Atem an. Das Urteil war gefällt. Nun stand es ihr frei, was immer ihr behagte.
Ich verließ ihr Zimmer schnell und mit, wie ich merkte, allzu schwungvollen Schritten.
»Midori-san!«
Hinter meinem Rücken hörte ich an diesem Tage zum ersten Mal ihre Stimme, aber ich eilte, ohne sie einer Antwort zu würdigen, um die Ecke des Korridors weiter.
»Tante, wie bleich du bist!« rief Shoko aus, die, ein Teebrett in der Hand, mir auf dem Korridor entgegenkam. Da wußte ich, daß auch aus meinem Gesicht alles Blut gewichen war.
Jetzt begreifen Sie wohl, warum ich mich von Ihnen trennen muß oder genauer: warum Sie sich von mir trennen müssen. Verzeihen Sie, daß ich Ihnen so wenig erfreuliche Dinge schreibe, aber nun scheint ja unser jammervolles »Geschäft«, das länger als zehn Jahre gedauert hat, bald zu Ende zu kommen. Ich habe Ihnen alles mitgeteilt, was ich Ihnen zu sagen wünschte. Es würde mich freuen, wenn Sie mir möglichst noch während Ihres Aufenthaltes auf Izu schreiben wollten, daß Sie mit der Scheidung einverstanden sind.
Oh, da ist noch etwas, was ich Ihnen zum Schluß berichten möchte. Ich habe heute zum ersten Mal, statt des Mädchens, Ihr Arbeitszimmer im Nebenhäuschen saubergemacht. Was ist das für ein herrlich ruhiger und schöner Raum! Ich fand es außerordentlich behaglich, auf dem Liegestuhl zu sitzen; die Ninsei-Vase, die wie eine brennend rote Blume aussieht, macht sich auf dem Bücherbord vortrefflich. Ich schrieb diesen Brief in Ihrem Arbeitszimmer. Das Gauguin-Bild paßt nicht recht hinein und außerdem möchte ich dieses Bild, falls Sie es mir erlauben, gern in das Haus nach Yase nehmen. So hängte ich es ab, obgleich Sie mir Ihr Einverständnis noch nicht gaben, und ersetzte es durch eine Schneelandschaft von Vlaminck. Dann ordnete ich Ihren Kleiderschrank, tat drei Winteranzüge hinein und gab für jeden Anzug eine Kravatte hinzu, die, nach meinem Geschmacke, gut dazu paßt. Ob Sie sie wohl mögen?
Saikos Brief
Wenn Du dies liest, bin ich nicht mehr auf Erden. Ich weiß nicht, was der Tod ist, aber ich bin mir ganz sicher, daß meine Freuden, Leiden und Ängste, sobald ich gestorben bin, für immer ein Ende haben. So viele Gedanken an Dich und Shoko werden von dieser Welt bald verschwunden sein. Mein Körper, mein Herz, das alles ist plötzlich nicht mehr da.
Trotzdem wirst Du, viele Stunden oder vielleicht sogar Tage, nachdem ich fortgegangen bin und mich in Nichts verwandelt habe, diesen Brief lesen. Er wird Dir von all dem erzählen, was mich jetzt erfüllt. Genau so wie ich während meines Lebens mit Dir sprach, wird Dir dieser Brief mitteilen, was ich dachte
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