Das Jagdgewehr
und fühlte, – lauter Dinge, die Du bis dahin noch nicht kanntest. Als ob ich mit Dir plauderte, wirst Du mir zuhören, wirst überrascht und traurig sein und wirst mich schelten. Ganz sicher aber weinst Du nicht. Du wirst – wie allein ich das bei Dir erlebt habe – nur sehr traurig aussehen (Midori-san kennt das bei Dir bestimmt nicht!) und wirst sagen: »Ach, Liebste, wie konntest du das tun!« Ich vermag Dein Gesicht ganz deutlich zu sehen und Deine Stimme zu hören.
Auch wenn ich tot bin, wird sich mein Leben also weiter in diesem Briefe bergen – so lange, bis Du ihn gelesen hast. Wenn Du ihn öffnest und das erste Wort liest, fängt mein Leben an, hell aufzuflammen, und fünfzehn oder zwanzig Minuten lang, bis Du das letzte Wort hinter Dich gebracht hast, werden genau wie zu der Zeit, als ich noch lebte, alle meine Gedanken in jeden Winkel Deines Körpers strömen und Dein Herz mit tausend Erinnerungen füllen. Was für ein wunderliches Ding ist doch ein ›letzter Brief‹! Obgleich das Leben, das dieser Brief enthält, nur fünfzehn oder zwanzig Minuten währt, ja, trotzdem, möchte ich Dir jetzt mein wahres Ich noch offenbaren. Es mag in diesem Augenblick entsetzlich klingen, aber ich habe mich Dir während all der Jahre nicht ein einziges Mal so gezeigt, wie ich wirklich bin. Nur das Ich, das Dir diesen Brief jetzt schreibt, ist mein wahres Ich. Ja, nur dieses allein!
Ich denke noch heute oft daran, wie zauberhaft schön der Tennozan-Berg bei Yamazaki damals aussah und wie naß die roten Herbstblätter von dem feinen Regen waren. Es war kaum zu fassen, daß es auf Erden solche Schönheit gab. Wir brachten uns unter dem alten, verschlossenen Tor des berühmten Teehauses Myokian, das in der Nähe des Bahnhofs steht, vor dem Regen in Sicherheit und schauten zu dem Berg auf, der unmittelbar hinter dem Bahnhof steil in die Höhe stieg und prachtvoll vor unseren Augen dalag. Unbewußt hielten wir vor so viel Schönheit den Atem an. War diese ungewöhnliche Szenerie nur ein launischer Scherz dieses Novemberabends, der langsam schon in Nacht überging? War die seltsame Stimmung an jenem Tage daran schuld, daß in kurzen Abständen immer neuer, feiner Regen vom Himmel strömte? Jedenfalls war der ganze Berg so farbenreich und zaubervoll, daß wir uns fast fürchteten hinaufzusteigen. Dreizehn Jahre sind seitdem vergangen, aber ich weiß noch deutlich, wie erregend hübsch das Laub aussah.
Wir waren damals zum ersten Mal beide allein fortgefahren. Du hattest mich am Morgen durch die Vorstädte von Kyoto mitgenommen, und ich fühlte mich erschöpft. Sicher warst Du auch sehr müde. Als wir den stillen und schmalen Weg zum Tennozan erklommen, stießest Du plötzlich die Worte hervor: »Lieben ist Besessenheit! Es ist doch nichts Schlechtes, daß ich von der Leidenschaft für Teeschalen besessen bin! Wie könnte böse sein, wenn ich von der Liebe zu dir besessen bin?« Und Du fügtest hinzu: »Nur du und ich haben die Schönheit dieses Berges hier erlebt! Jetzt können wir nicht mehr zurück!« Das hörte sich wie die Drohung eines eigensinnigen Kindes an.
Diese törichten, sinnlosen, verzweifelten Worte machten plötzlich meinen Entschluß, Dich zu verlassen (den ich Dir an diesem Morgen hatte mitteilen wollen), zusammenstürzen. Die vage, irre Traurigkeit, die aus Deinen Worten drohte, ließ in meinem Körper das Glück einer Frau, die sich geliebt fühlt, zu einer Blüte kristallisieren.
Wie einfach und leicht ist es für mich, meine eigene Untreue zu verzeihen, während ich es unmöglich fand, Nachsicht mit meinem Manne, Kadota, zu haben.
Du gebrauchtest das Wort Verbrechen zum ersten Mal im Atami-Hotel, als Du zu mir sagtest: »Wir wollen Verbrecher sein!« Erinnerst Du Dich? In der Nacht rüttelte der Sturmwind an den hölzernen Fensterläden unseres Zimmers, das auf das Meer hinausging. Gegen Mitternacht standest Du dann auf und schobst sie zurück, um den Lärm abzustellen, und da entdeckten wir auf hoher See ein Fischerboot, das so hell brannte, als hätte man eine Fackel angezündet. Wir waren gar nicht weiter bestürzt, daß sich da draußen ein paar Menschenleben in höchster Gefahr befanden, uns bewegte nur die Schönheit dieses Anblicks. Aber nachdem Du die Läden wieder geschlossen hattest, wurde ich doch unruhig und öffnete sie erneut. Das Boot war jedoch wohl schon verbrannt, ich entdeckte keine Spur mehr von ihm auf den Wellen, es breitete sich eine ungeheure, trübe Ruhe auf der dunklen
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