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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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wütendem Summen strömten die Bienen hervor und schossen wie Pfeile auf ihn zu. Jaulend und wild um sich fuchtelnd und klatschend, flüchtete er die Feuertreppe hinunter, gefolgt von einer Wolke aus Bienen.
    Es dauerte seine Zeit, bis Toby die Bienenstöcke wieder aufgerichtet hatte. Die Bienen waren wütend, und einige Gärtner wurden gestochen. Toby entschuldigte sich bei ihnen, aber noch ausgiebiger entschuldigte sie sich bei den Bienen, nachdem sie sie beräuchert und schläfrig gemacht hatte: Sie hatten in ihrer eigenen Schlacht beträchtliche Verluste hinnehmen müssen.
     
    47.
     
    An jenem Abend hielten die Adams und Evas eine angespannte Versammlung in ihrem Versteck hinter den Essigfässern ab. »Ohne Befehl von oben würde der Drecksack nicht angreifen«, sagte Zeb. »Das CorpSeCorps steckt dahinter − die wissen, dass wir einigen Leutchen ausgeholfen haben, und jetzt arbeiten sie dran, uns als terroristische Fanatiker zu brandmarken, genau wie die Wolf-Jesajaisten.«
    »Nein, das ist was Persönliches«, sagte Rebecca. »Dieser Mann ist eine Schlange, nichts gegen Schlangen, und er hatte es auf Toby abgesehen, das ist alles. Kaum hat er sein Ding in irgendein Loch gesteckt, glaubt er, er hätt’s gepachtet.« Wenn Rebecca aufgebracht war, griff sie gern auf ihr altes Vokabular zurück und bereute es sofort wieder. »Nichts für ungut, Toby«, sagte sie.
    »Wir haben die Sache aber ins Rollen gebracht«, sagte Adam Eins. »Die jungen Leute haben ihn provoziert. Und Zeb. Schlafende Hunde soll man bekanntlich nicht wecken.«
    »Hunde ist das richtige Wort«, sagte Rebecca. »Nichts gegen Hunde.«
    »Zwei Tote auf dem Gehweg werden unserem Ruf als Pazifisten nicht gerade guttun«, sagte Nuala.
    »Unfälle. Die beiden sind vom Dach gefallen«, sagte Zeb.
    »Und dem einen haben wir unterwegs die Kehle durchgeschnitten und dem anderen ein Auge ausgestochen«, sagte Adam Eins. »Wie jede gerichtsmedizinische Untersuchung bestätigen wird.«
    »Backsteinmauern«, sagte Katuro, »sind nun mal gefährlich. Da steckt so allerhand drin. Glasscherben. Spitze Gegenstände.«
    »Dann lieber ein paar tote Gärtner, ja?«, fragte Zeb.
    »Gesetzt den Fall, du hast recht«, sagte Adam Eins, »und das Ganze ist ein CorpSeCorps-Komplott. Ist es dir schon in den Sinn gekommen, dass die drei womöglich hergeschickt wurden, um genau so einen Unfall zu provozieren? Damit wir etwas Ungesetzliches tun und ihnen einen Vorwand für Repressalien liefern?«
    »Was hatten wir denn für eine Wahl«, sagte Zeb. »Sollten wir uns zertreten lassen wie Käfer? Nicht dass wir Käfer zertreten«, fügte er hinzu.
    »Der kommt zurück«, sagte Toby. »Egal, aus welchem Grund, ob CorpSeCorps oder nicht. Solange ich hierbleibe, bin ich eine Zielscheibe.«
    »Ich glaube«, sagte Adam Eins, »zu deiner eigenen Sicherheit, liebe Toby, und auch zur Sicherheit des Gartens wäre es am besten, wir würden dich in einer unserer Trüffelnischen in der Außenhölle unterbringen. Von dort aus kannst du allerhand für uns tun. Wir werden durch unsere Plebsratten-Verbindungen das Gerücht verbreiten lassen, dass du nicht mehr bei uns bist. Vielleicht fehlt deinem Feind die Energie, und uns bleiben Angriffe erspart, zumindest fürs Erste. Wie schnell können wir sie umsiedeln?«, fragte er Zeb.
    »Ist so gut wie geschehen«, sagte Zeb.
    *
    Toby ging in ihre Schlafkabine und packte das Wichtigste zusammen − die Extrakte, die Trockenkräuter, die Pilze. Pilars letzte drei Gläser Honig. Von allem ließ sie eine kleine Menge zurück für ihre Nachfolgerin, wer immer die nächste Eva Sechs sein würde.
    Sie wusste noch genau, wie sehr sie sich damals aus Langeweile und dem Gefühl, eingesperrt zu sein, gewünscht hatte, den Garten zu verlassen und ein sogenanntes eigenständiges Leben zu führen; jetzt aber, wo sie gehen musste, kam es einer Vertreibung nahe. Nein: Es war ein Herausgerissenwerden, ein Abgetrenntwerden, ein Gehäutetwerden. Sie widerstand der Versuchung des Schlafmohns, um das ganze Elend erträglicher zu machen. Sie musste wachsam bleiben.
    Noch eine andere Sache schmerzte sie: Sie würde Pilar enttäuschen. Hatte sie noch Zeit, sich von den Bienen zu verabschieden, und wenn nicht, würden die Bienenstöcke eingehen? Wer würde das Imkern übernehmen? Wer verfügte über das Wissen? Sie zog sich ein Tuch über den Kopf und eilte hinaus zu den Stöcken.
    »Bienen«, sagte sie laut. »Ich muss euch etwas berichten.« Unterbrachen die Bienen

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