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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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ihren Flug, hörten sie ihr zu? Einige flogen heran, um sie zu erkunden, ließen sich auf ihrem Gesicht nieder, prüften anhand der Chemikalien auf ihrer Haut ihren Gefühlszustand. Sie hoffte, dass sie ihr das Umstürzen ihrer Stöcke verzeihen konnten. »Ihr müsst eurer Königin sagen, dass ich gehen musste«, sagte sie. »Mit euch hat es nichts zu tun, ihr habt mir immer gute Dienste geleistet. Mein Feind zwingt mich zu gehen. Bitte verzeiht mir. Sollten wir uns je wiedersehen, hoffe ich, dass es unter glücklicheren Umständen sein wird.« Wenn sie mit den Bienen sprach, drückte sie sich gewählter aus als sonst.
    Die Bienen summten und sirrten; sie schienen die Lage zu besprechen. Sie wünschte, sie könnte sie mitnehmen wie ein großes goldenes, pelziges, kollektives Haustier. »Ihr werdet mir fehlen, Bienen«, sagte sie. Statt einer Antwort begann eine der Bienen ihr ins Nasenloch zu krabbeln. Heftig blies sie sie wieder aus. Vielleicht tragen wir bei diesen Gesprächen deshalb einen Hut, dachte sie, damit uns die Bienen nicht in die Ohren kriechen.
    *
    Sie ging zurück in ihre Kabine, und eine Stunde später kamen Adam Eins und Zeb dazu. »Zieh dir besser das hier an, liebe Toby«, sagte Adam Eins. Er hatte einen Pelztreiberanzug dabei − ein Entenkostüm mit flauschigen rosa Federn, roten Schwimmfüßen aus Gummi und einem lächelnden Plastikschnabel. »Nasenhut ist integriert. Der Stoff ist der letzte Schrei. Mo’Hair-Neo-Biopelz. Hundert Prozent atmungsaktiv. So heißt es zumindest.«
    Die beiden warteten auf der anderen Seite des Kabinenvorhangs, während Toby ihr tristes Gärtnerkleid ablegte und in den Pelztreiberanzug schlüpfte. Neo-Biopelz hin oder her, es war heiß da drin. Und dunkel. Sie wusste zwar, dass sie durch ein rundes weißes Augenpaar mit großen schwarzen Pupillen blickte, hatte aber das Gefühl, durch ein Schlüsselloch zu spähen.
    »Flatter mal«, sagte Zeb.
    Toby bewegte die Arme auf und ab, und der Entenanzug quakte. Es klang wie ein Greis, der sich schnäuzt.
    »Wenn du mit dem Schwanz wackeln willst, musst du mit dem linken Bein aufstampfen.«
    »Und wie rede ich?«, sagte Toby. Sie musste den Satz laut wiederholen.
    »Durch das rechte Ohr«, sagte Adam Eins.
    Na toll, dachte Toby. Quaken mit dem Fuß, reden mit dem Ohr. Alles andere wollen wir gar nicht erst wissen.
    Sie zog sich wieder ihr Kleid über, und Zeb stopfte den Pelztreiberanzug in einen Seesack. »Ich fahr dich mit dem Lastwagen«, sagte er. »Er steht vor der Tür.«
    »Wir melden uns bald, meine Liebe«, sagte Adam Eins. »Ich bedaure sehr, dass … es ist wirklich unglückselig, dass … Tauch alles in Licht …«
    »Ich werd’s versuchen«, sagte Toby.
    *
    Auf dem gebläsegekühlten Lastwagen der Gärtner prangte diesmal das Logo PARTY TIME. Toby saß vorne neben Zeb. Im Fond war der Hammerhai als Kiste Luftballons verkleidet: Zwei Fliegen mit einer Klappe, sagte Zeb. »Tut mir leid«, fügte er hinzu.
    »Was denn?«, fragte Toby. Tat es ihm leid, dass sie ging? Sie spürte einen kleinen Pulsschlag.
    »Die Fliegenklappe. Fliegentöten gehört sich nicht.«
    »Ach so. Klar«, sagte Toby. »Schon okay.«
    »Den Hammerhai schicken wir in die weite Ferne«, sagte Zeb. »Wir haben Verbindungen unter den Kofferschleppern beim Torpedozug; sie kann als Fracht mitfahren, wir beschriften die Kiste mit ›zerbrechlich‹. Wir haben eine Trüffelzelle in Oregon − da kann sie erst mal untertauchen.«
    »Und was ist mit mir?«, fragte Toby.
    »Adam Eins möchte, dass du in der Nähe des Gartens bleibst«, sagte Zeb, »falls Blanco wieder ins Painball muss und du wieder zurückkannst. Wir haben dir einen Platz in der Außenhölle organisiert, aber bis dahin dauert’s noch ein paar Tage. In der Zwischenzeit bleibst du einfach in deinem Anzug. Auf der Traumstraße mit den ganzen Genläden, da wimmelt’s nur so von Pelztreibern, da fällst du nicht auf. Jetzt zieh den Kopf ein − wir kommen durch Sewage Lagoon.«
    Zeb lieferte Toby vor der FenderBender-Werkstatt ab, wo die dort ansässigen Gärtner sie hastig aus dem Lastwagen zogen und auf der ehemaligen Hydraulikhebebühne einquartierten, die sie mit Bodenbelag verkleidet hatten. Mit uralten Motoröldämpfen in der Nase, verzehrte Toby ein kärgliches Mahl aus feuchten SojaBits mit Steckrübenbrei und spülte das Ganze mit Sumac hinunter. Sie schlief auf einem alten Futon, benutzte den Pelzanzug als Kopfkissen. Eine Biolette gab es nicht, nur eine verrostete

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