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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Happicuppa-Kaffeedose.
Aus dem, was wir haben, das Beste machen
war ein beliebtes Gärtnermotto.
    Die Umsiedlung der Rattenkolonie aus der Werkstatt ins Buena-vista-Haus war, wie sie feststellen musste, nicht hundertprozentig gelungen. Aber zumindest waren die übrig gebliebenen Tiere nicht unverhohlen feindselig.
    Am nächsten Morgen begann sie mit ihrem Pseudojob − in einem Berg Kunstpelz mit Reklametafel über die Traumstraße watscheln, in regelmäßigen Abständen quaken und mit dem Schwanz wackeln und dabei Broschüren verteilen. Auf der Vorderseite der Tafel stand: VOM HÄSSLICHEN ENTLEIN ZUM SCHÖNEN SCHWAN IM ANUYU-SPA-IM-PARK! Dein Gans Neues Ich! Auf der Rückseite stand ANUYU! DAS GANZE YAHR YUBELPREISE! Auf den Broschüren stand:
Hautverjüngung zu Nied
rigpreisen! Genfrei! Voll reversibel!
AnuYu hatte keine Gentherapien im Angebot − nichts Radikales oder Permanentes. Man setzte auf Oberflächenbehandlungen. Kräuterelixiere, Systemreiniger, Stimmungsaufheller für die Haut; pflanzliche Nanozellen-Injektionen, Schimmelformel-Mikrofaserkuren, tiefenwirksame Gesichtscremes, Rehydrationsbalsam. Hautfarbenwechsel auf Chamäleonbasis, mikrobische Pigmententfernung, Blutegelschälkuren gegen Flachwarzen.
    Sie verteilte viele Broschüren, wurde aber auch von diversen Genshopbesitzern belästigt: Selbst auf der Traumstraße waren Träume mitunter schnell ausgeträumt. Zahlreiche andere Pelztreiber tummelten sich auf dieser Straße − ein Löwe, ein Mo’Hairschaf, zwei Bären und drei weitere Enten. Toby fragte sich, wie viele davon wirklich diesem Gewerbe nachkamen: Sie war bestimmt nicht die Einzige, die auf die Idee gekommen war, sich vor aller Augen unsichtbar zu machen.
    Hätte sie wie früher für eine echte Pelztreiberfirma gearbeitet, hätte sie am Ende des Arbeitstages ihre Karte in die Stechuhr geschoben, wäre aus dem Pelzanzug geschlüpft und hätte die Quittung für ihren E-Lohn eingesackt. In diesem Fall aber wurde sie von Zeb im Lastwagen abgeholt. Und auf dem stand inzwischen: MEGAPELZ − SAG’S GEFELLIG!
    Im Pelzanzug rollte sie sich nach hinten, und Zeb chauffierte sie in eine andere Gärtner-Enklave − eine verlassene Bank in Sewage Lagoon. Einst hatte der Bankkonzern den örtlichen Plebsbanden Schutzgeld gezahlt, aber bald hatten deren Tex-Mex-Profis für Identitätsraub auf den Tischen getanzt wie die Mäuse. Schließlich hatten die Banken aufgegeben und das Weite gesucht, denn kein Mitarbeiter hatte große Lust, seinen Arbeitstag geknebelt und mit abgetrenntem Daumen auf dem Fußboden zu verbringen, derweil sich ein Hacker damit Zugang zum System verschaffte, um in aller Ruhe die Buchhaltung zu plündern.
    In dem altmodischen Bankgewölbe ließ es sich um einiges besser nächtigen als auf der hydraulischen Hebebühne. Kühl, rattenfrei, keine Abgasdämpfe; das zarte Aroma von leise oxidierendem Papiergeld aus vergangener Zeit. Doch irgendwann fragte sich Toby, was wäre, wenn jemand versehentlich die Gewölbetür verriegelte und sie einfach vergaß; also schlief sie nicht sehr gut.
    Am nächsten Tag hieß es wieder: ab auf die Traumstraße. Das Kostüm war bei der Hitze unerträglich, ein Schwimmfuß hatte sich gelockert und der Nasenhut funktionierte nicht. Was, wenn die Gärtner sie im Stich gelassen hatten und sie nun bis in alle Ewigkeit dazu verdammt war, als nichtexistenter Vogel durchs Traumland zu irren und langsam, aber sicher zu vertrocknen, um eines Tages als welkes Häuflein rosa Kunstfedern irgendeinen Gully zu verstopfen?
    Aber schließlich kam Zeb, um sie abzuholen. Er fuhr sie in eine Klinik hinter einer Mo’Hairfiliale. »Wir lassen dir Haare und Haut machen«, sagte er. »Du wirst dunkel. Und du bekommst neue Fingerabdrücke und eine neue Stimme. Dazu ein paar neue Konturen.« Die Biotechnik zum Verändern der Irispigmentierung war riskant – Zeb sagte, sie könne unschöne Glubschaugen verursachen -, also würde sie Kontaktlinsen tragen müssen. Grün -die Farbe hatte er selbst ausgesucht.
    »Die Stimme lieber höher oder tiefer?«, fragte er.
    »Tiefer«, sagte Toby. Sie konnte nur hoffen, dass nicht gerade ein Bariton dabei herauskäme.
    »Gute Wahl«, sagte Zeb.
    Der Arzt war ein aalglatter Chinese. Der Eingriff würde unter Narkose erfolgen, und danach ginge es in die Post-OP − nur vom Feinsten, sagte Zeb -, und bei der Aufnahme wirkte alles tatsächlich sehr sauber. Geschnitten oder genäht wurde nur wenig. Sie hatte kein Gefühl in den Fingerkuppen –

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