Das Jahr der Flut
das komme wieder, sagte Zeb -, und sie war heiser vom Eingriff an den Stimmbändern. Ihr Kopf juckte ständig, während sich das Mo’Hairhaar mit der Kopfhaut verband. Die Hautpigmentierung war erst ungleichmäßig, aber Zeb sagte, in sechs Wochen sehe alles tipptopp aus: Bis dahin dürfe sie nur auf keinen Fall in die Sonne gehen.
Die sechs einsamen Wochen verbrachte sie in einer Trüffelzelle in SolarSpace. Eine Kontaktperson namens Muffy holte Toby in einem sehr teuren elektrischen Coupé von der Klinik ab. »Sollte jemand nachfragen«, sagte sie, »sagst du einfach, du bist das neue Hausmädchen. Ich muss mich entschuldigen«, fuhr sie fort, »aber bei uns zu Hause müssen wir Fleisch essen, das gehört zu unserer Tarnung. Wir finden’s natürlich schrecklich, aber in SolarSpace gibt es fast nur Fleischesser, und ohne Grillpartys läuft gar nichts -natürlich Biofleisch und auch von der Streckbank, da wird ja nur Muskelgewebe gezüchtet, kein Herz, kein Schmerz -, aber andernfalls würden wir auffallen. Ich werde aber versuchen, alle Essensdünste von dir fernzuhalten.«
Die Warnung kam zu spät: Toby hatte schon einen Duft in der Nase, der sie an die Markknochensuppe ihrer Mutter erinnerte.
Obwohl sie sich schämte, bekam sie Hunger. Vielleicht war Traurigkeit auch eine Art Hunger, dachte sie. Vielleicht ging beides Hand in Hand.
*
In ihrem kleinen Dienstmädchenzimmer las Toby Online-Magazine, übte das Einsetzen ihrer Kontaktlinsen und hörte Musik auf ihrem See/H/Öhr-LekkerBit. Es war ein surreales Intermezzo. »Betrachte dich einfach als Schmetterlingsraupe«, hatte Zeb vor der Umwandlung zu ihr gesagt. Und so war sie als Toby hinein-und als Tobiatha herausspaziert. Weniger englisch, mehr Latina. Mehr Altstimme.
Sie sah sich an − ihre neue Haut, ihr neues üppiges Haar, die hohen Wangenknochen. Die grünen Mandelaugen. Sie würde daran denken müssen, jeden Morgen diese Linsen einzusetzen.
Die Veränderungen hatten keine atemberaubende Schönheit aus ihr gemacht, aber das war auch nicht das Ziel gewesen. Das Ziel war es gewesen, sie unsichtbarer zu machen. Schönheit ist nur oberflächlich, dachte sie. Aber wieso eigentlich
nur
?
Dennoch, schlecht war sie nicht, die neue Optik. Die Frisur war mal was anderes, wobei die Hauskatzen der Familie, vermutlich wegen des leichten Lammaromas, ein großes Interesse daran zeigten. Morgens wachte sie auf und fand nicht selten eine Katze auf ihrem Kopfkissen, die ihr schnurrend die Haare leckte.
48.
Als die Kopfhaut festgewachsen und ihr neuer Teint ebenmäßig war, war Toby bereit, in ihre neue Identität zu schlüpfen. Muffy erklärte ihr, wie diese Identität aussehen sollte.
»Wir haben uns gedacht, der AnuYu-Spa-im-Park wäre das Richtige für dich«, sagte sie. »Da wird viel mit Kräutern gemacht, du würdest da genau reinpassen mit deinen Pilzen und Elixieren, sagte Zeb, und du wirst keine Probleme haben, dich einzuarbeiten. Es gibt einen Biogarten fürs Café, darauf sind sie sehr stolz, mit Kompost und allem Drum und Dran; und sie probieren gerade ein paar transgene Pflanzen aus, die du vielleicht interessant finden wirst. Alles Übrige ist Organisationskram, genau wie überall -Ware rein, Mehrwertsteuer drauf, Ware raus. Buchhaltung und Vorräte kontrollieren, Mitarbeiterbetreuung – Zeb sagt, du kannst gut mit Menschen umgehen. Die amtlichen Schritte sind eingeleitet, du musst nur noch folgen.«
»Die Ware, das sind dann also die Kunden?«, fragte Toby.
»Richtig«, sagte Muffy.
»Und der Mehrwert?«
»Der ist immateriell«, sagte Muffy. »Die Kunden haben das Gefühl, danach besser auszusehen. Dafür sind sie bereit, sehr viel Geld zu bezahlen.«
»Verrätst du mir, wie du an diese Stelle gekommen bist?«, fragte Toby.
»Mein Mann ist im Vorstand von AnuYu«, sagte Muffy. »Keine Sorge, ich musste ihn nicht anlügen. Er ist einer von uns.«
*
Nachdem sie im AnuYu eingeführt worden war, richtete sich Toby in ihrer Rolle als Tobiatha ein, der diskreten und effizienten Chefin mit dem leichten Tex-Mex-Flair. Die Tage waren ruhig, die Nächte friedlich. Die Anlage war zwar von einem elektrischen Zaun und vier bewachten Pförtnerhäusern umgeben, aber die Ausweiskontrollen waren lax, und die Wachen ließen Toby in Ruhe. Es war keine Hochsicherheitsanlage. Das Spa hatte keine großen Geheimnisse zu hüten, also hatten die Wachen nichts weiter zu tun, als die Damen zu kontrollieren, die, verunsichert von den ersten Anzeichen der
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